Einige Gedanken zu Nâgârjunas
Mâdhyamaka-Philosophie

 
M.B. Schiekel
 


©opyright 2002-2005, M.B. Schiekel, D-89073 Ulm. 
 
Der Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Autors.

Im Mahâyâna-Buddhismus wird davon gesprochen, daß es 84000 Tore zum Dharma, zur Wirklichkeit, zum Erwachen gäbe -
vielleicht denken wir dabei zunächst einmal an die formalen buddhistischen Meditations- und Achtsamkeits-Übungen, doch auch ganz gewohnte Dinge können uns zum Tor des Erwachens werden, wenn wir ungeteilte Achtsamkeit für den Augenblick entwickeln: vielleicht das Antlitz eines geliebten Menschen, das Rauschen eines Bergbaches, der Duft eines Kiefernwaldes, der Geschmack frischen Wassers, die Empfindung einer sanften Berührung, vielleicht auch die Worte eines Dichters, die Gedanken eines Philosophen oder die Einsichten eines Wissenschaftlers.

Bei all diesen Dharmatoren geht es nicht um 'absolute' Wahrheiten, sondern um ihr Potential, unseren Herz-Geist zu berühren, so daß wir die Wirklichkeit erkennen können und aufwachen aus dem Schlaf unserer Illusionen.

Eines dieser 84000 traditionellen Dharmatore ist die philosophische Annäherung an die Wirklichkeit - was nun natürlich nicht bedeutet, daß alle Schüler und Schülerinnen des Mâhâyana-Buddhismus unbedingt eine große Hinneigung zum philosophischen Denken entwickeln müßten - aber es ist für Menschen mit intellektuellen Begabungen durchaus interessant und 'erleuchtend', das Denken bis an seine Grenzen zu denken und dann schließlich angesichts der unauflöslichen Widersprüchlichkeiten von Sprache und Denken 'jenseits zu gehen' in den Frieden des Schweigens, jenen tiefen Frieden aller Buddhas.

Vielleicht fühlen wir westlichen Leser uns bei solchen Gedanken an Wittgenstein erinnert, aber bereits der indische buddhistische Mönch und Philosoph Nâgârjuna (ca.150-250) hat sich darum bemüht, das konsequente philosophische Fragen und Denken als einen Weg der inneren Befreiung zu etablieren und hat so die für den Mâhâyana-Buddhismus bis heute bedeutsame Philosophie des Mâdhyamaka (des 'Mittleren Weges') entwickelt.

Eine kleine Einführung zu dieser und anderen buddhistischen philosophischen Schulen findet sich in:
Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen.
Ebenfalls als Einführung in die Gedankenwelt des Mâhâyana-Buddhismus eignen sich, gerade im Zusammenhang mit Nâgârjuna, dessen:
Zwanzig Verse über das Mâhâyana, das Mahâyânavimsakâ.

Für umfassendere Darstellungen der Philosophie des Mâhâyana-Buddhismus, und speziell des Mâdhyamaka, seien interessierte Leser und Leserinnen aus der Flut der einschlägigen Veröffentlichungen auf die im Anhang aufgeführten und rein subjektiv ausgewählten Werke hingewiesen.

Nach der Erfahrung des Autors tauchen jedoch in vielen Gesprächen über Nâgârjuna und dessen Mâdhyamaka-Philosophie regelmäßig zwei schwierigere Fragen auf:

  • das Problem des Absoluten im Mâdhyamaka,
  • das Problem mit der antiken indischen Logik und den aus heutiger wissenschaftlicher Sicht häufig unkorrekten logischen Schlüssen Nâgârjunas.
Dies führt nun direkt zu der grundsätzlicheren Frage:
  • Inwiefern haben diese 1800 Jahre alten indisch philosophischen Debatten noch irgendeinen Sinn für uns Menschen der westlichen Kultur des 21. Jahrhunderts?

Die Frage 1 wird sehr schön behandelt in dem hier in deutscher Übersetzung vorgelegten Aufsatz des belgischen Indologen J. W. de Jong:
Jan W. de Jong: Das Problem des Absoluten in der Schule des Mâdhyamaka.

Die Frage 2 wird sehr detailliert und kundig behandelt in dem englischen Aufsatz von R. R. Robinson (wenn Zeit und Umstände dies erlauben, soll irgendwann einmal hier eine deutsche Übertragung von Robinson´s Text angeboten werden):
Richard R. Robinson: Some Logical Aspects of Nâgârjuna's System.

Aus der Vielfalt der möglichen Antworten auf die Frage 3 sollen an dieser Stelle nur einige Zitate moderner Autoren zu Nâgârjuna zitiert werden:
Einige moderne Stimmen zu Nâgârjuna.

 
Und damit sind dann hoffentlich alle Fragen beantwortet ;-)
und wenn nicht?
Nun, vielleicht sollten wir uns doch zur Meditation hinsetzen!

 

                                                                  M.B.S., Ulm, Oktober 2002.


Literaturangabe

  • B. Weber-Brosamer, D. M. Back, Die Philosophie der Leere,
    Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 1997.
     
  • E. Frauwallner, Die Philosophie des Buddhismus,
    Akademie Verlag, Berlin, 1994.
     
  • Thich Nhat Hanh, Schlüssel zum Zen,
    Herder Verlag, Freiburg i.Br., 1996.
     
  • K. Jaspers, Die großen Philosophen,
    Abschnitt: Aus dem Ursprung denkende Metaphysiker,
    Kapitel: Nagarjuna,
    Piper & Co.Verlag, München, 1957.
     
  • H. W. Schumann, Mahayana-Buddhismus,
    Diederichs Verlag, München, 1990.
     
  • Alan W. Watts, Zen, Tradition und lebendiger Weg,
    ZERO Verlag, Rheinberg, 1981
    (bzw. Windpferd Verlag, Aitrang, 1990).
     
  • V. Zotz, Geschichte der buddhistischen Philosophie,
    Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, 1996.

 

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