Die Mahāyāna-Schulen sind hervorgegangen aus den
frühbuddhistischen Schulen Mahāsānghika und
Sarvāstivāda. Grundsätzliche Unterschiede in der Sichtweise
zu den frühbuddhistischen Schulen sind:
-
Das Mahāyāna vertritt einen ontologischen Idealismus - es hält
das Leiden und Samsāra nur für einen Schein und behauptet unter
vielerlei Bezeichnungen ein wahres Sein, ein Absolutes, hinter den
Dingen.
-
Autoritative Texte sind die zwischen den 1. Jh. v.u.Z. und dem 6. Jh.
in Sanskrit entstandenen Mahāyāna-Sūtren, die dem Buddha
in den Mund gelegt werden.
-
Gautama Buddha wird als eine Projektion dieses Absoluten in einen irdischen
Scheinleib gesehen.
-
Eine Weitergabe der karmischen Verdienste wird als möglich angesehen,
wodurch das strikte Karma-Gesetz aufgehoben wird und fremde Hilfe durch
menschliche und transzendente Bodhisattvas auf dem Erleuchtungsweg möglich
wird.
-
Daher wird für den Erlösungsweg ein Bodhisattva-Leben, um alle
Wesen zur Erleuchtung zu führen, als bedeutsamer angesehen, als nur
möglichst rasch die eigene Erleuchtung verwirklichen zu wollen.
-
Erlösung ist nicht wie in den frühbuddhistischen Schulen die restlose
Auslöschung von Verlangen und Lebensdurst, sondern die Schau der
Identität des eigenen Wesens mit dem Absoluten, die Schau des schon
seit jeher Erlöst-Seins. (Das Erlöschen von Verlangen und Lebensdurst
stellen sich hier als das Resultat dieser Wesensschau, bzw. als ein Kriterium
der tatsächlichen Verwirklichung dar.)
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Die Mādhyamaka-Schule stützt sich auf die
Prajñāpāramitā-Sūtren (Entstehungs-beginn
im 1. Jh. v.u.Z.) und das Saddharmapundarīka-Sūtra. Als eigentlicher
Gründer der Mādhyamaka-Schule gilt Nāgārjuna (2. Jh.).
Von ihm und seinem Schüler Āryadeva sind zahlreiche
Lehrbücher (Shāstras) erhalten.
Diese Mādhyamaka-Lehre kann sehr heilsam wirken, kann aber auch sehr
gefährlich sein, wenn sie nicht wirklich begriffen wird - daher sollte
sinnvollerweise das Ablegen der Bodhisattva-Gelübde und eine intensive
Schulung auf dem Weg der pāramitās (speziell der ersten fünf:
Geben, Ethik, Geduld, beständiges Bemühen, Meditation) der eigentlichen
Übung der prajñāpāramitā (pāramitā der Weisheit) vorausgehen.
Während der Buddha es ablehnte, ontologische Fragen zu diskutieren,
weil diese nach seinem Verstehen nicht zur Leidbefreiung führen, ist
es Nāgārjunas Ansatz, jede Aussage über Sein, Nichtsein,
Objekt, Subjekt, Samsāra, Nirvāna, usw. logisch zu widerlegen,
um so zum Nicht-Anhaften, d.h. zur Leidbefreiung zu gelangen.
Nāgārjunas Widerlegungstechnik basiert auf der antiken indischen
Logik (Tetralemma), welche vier verschiedene mögliche Aussagen kannte:
- A,
- Nicht-A,
- A ^ Nicht-A ( = sowohl A als auch Nicht-A),
- Nicht-(A ^ Nicht-A) = Nicht-A v Nicht-Nicht-A ( = weder A noch Nicht-A).
Unter einer Aussage A ist hierbei die Behauptung einer
unabhängigen Existenz irgendeines Dinges (dharmas) gemeint.
Nāgārjuna versucht nun, diese vier möglichen Aussagen zu
widerlegen. Einzelne Widerlegungen halten einer modernen wissenschaftlichen
Prüfung, zumindest aus westlicher Sichtweise, nicht immer stand.
Gelegentlich wird z.B. folgendermaßen argumentiert (siehe
Mūlamadhyamaka-Kārikās 3.2):
Das Sehen sieht Dinge; das Sehen sieht sich selbst nicht, obwohl es ein Ding
ist; daraus folgt, daß das Sehen keine Dinge sieht; Widerspruch - was
zu beweisen war.
Wiewohl mit westlichen Augen so nicht mehr haltbar, wird diese
Widerlegungstechnik doch auch heute noch in den tibetischen Schulen mit
großer Hingabe geübt. Die bei Nāgārjuna aber hinter
der formalen Logik stehende Grundidee, daß nämlich kein
widerspruchsfreies Denken und Reden, keine widerspruchsfreie Welterkenntnis,
keine absolute Wahrheit möglich sei, ist heute gleichermaßen richtig
und aktuell: es sei auf das berühmte mathematische Theorem von Gödel
und seine Folgerungen verwiesen (siehe z.B. Roger Penrose, 1991).
Dennoch sollte man nicht vergessen darauf hinzuweisen, dass auch im
traditionellen indischen und tibetischen Kontext die logische Analyse der
Leerheit aller Dinge nicht als wissenschaftlicher Selbstzweck betrieben wurde,
sondern stets nur die Vorstufe darstellte zu einer darauffolgenden vertieften
Kontemplation über die Leerheit.
Nach Nāgārjuna gibt es zwei Wahrheiten:
-
die relative (weltliche) Wahrheit - sie sieht alle Dinge (dharmas) als
entstehend und vergehend (im buddhistischen Sprachgebrauch: Nicht-Sein);
-
die absolute Wahrheit - sie sieht alle Dinge (dharmas) als unentstanden,
nicht kommend und nicht gehend (im buddhistischen Sprachgebrauch: Sein).
Nāgārjuna nun sieht alle Dinge (dharmas) und auch die zwei Wahrheiten
selbst als leer, leer von einem unabhängigen Selbst oder Sein, leer
von einer unabhängigen Wahrheit, d.h. alle dharmas sind abhängiges
Entstehen.
Diese Leerheit, gleich abhängiges Entstehen, in der Schwebe zwischen
Sein und Nicht-Sein ist Nāgārjunas Mittlerer Weg (Mādhyamaka).
Die Verbindung von tiefer Einsicht in die Widersprüchlichkeit allen
Denkens und Redens zusammen mit einem klaren Verstehen der Leerheit aller
Dinge führt zur Streitlosigkeit, zur Loslösung von allem Anhaften,
und d.h. zur Leidbefreiung.
Diese Loslösung muß schlußendlich selbst von der
Mādhyamaka-Lehre erfolgen, denn: „Die Lehre ist zum Entrinnen tauglich,
nicht zum Festhalten“. Dies nun ist die Verwirklichung der
prajñāpāramitā, die Vollkommenheit des Verstehens.
Da die Leerheit aller dharmas universell ist und das Erwachen zu dieser Einsicht
endgültige Befreiung darstellt, wird Leerheit im Mādhyamaka auch
als ein Absolutes, als dharmakāya, bezeichnet.
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Nach Āryadeva war der nächste bedeutende Mādhyamika-Gelehrte
Buddhapālita im 5. Jh. - er versuchte die Behauptungen anderer Schulen
und deren unerwünschte Folgerungen (prasanga) deduktiv zu widerlegen.
Chandrakīrti im 8. Jh. versuchte die Lehren Nāgārjunas
und Buddhapālitas in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten und
zu erneuern - speziell in der Auseinandersetzung mit Bhāvaviveka (siehe
unten).
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Nachdem der Yogāchāra-Gelehrte Dignāga (ca. 480-540) die
Logik wesentlich weiter entwickelt hatte, benützte auch der
Mādhyamika-Gelehrte Bhāvaviveka (ca. 490-570) diese Logik der
richtigen Schlüsse (svatantrika) und integrierte Teile des
Yogāchāra (aus Psychologie und Erlösungslehre). Im Gegensatz
zum Yogāchāra sah er das Bewußtsein jedoch als Teil der
Erscheinungswelt. Bhāvaviveka wurde von anderen Mādhyamikas,
speziell von Chandrakīrti (8. Jh.) heftig kritisiert: „Ein Mādhyamika
stellt keine Thesen auf“.
Während der ersten Ausbreitung des Buddhismus in Tibet erlangte eine
von Shāntirakshita und seinem Schüler Kamalashīla (8. Jh.)
vertretene Svatantrika-Mādhyamaka-Yogāchāra Synthese in
Tibet Geltung als Staatsdoktrin. Bei der zweiten Ausbreitung des Buddhismus
in Tibet im 11. Jh. setzte sich die Prāsangika-Mādhyamaka-Schule
des Chandrakīrti durch.
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Unter dem Begriff Sechs Häuser und sieben Schulen (chin. Liujia ji,
Liu-chia chi) wurden in der Frühphase des chinesischen Buddhismus (4. Jh.)
verschiedene prajñāpāramitā-Schulen zusammengefaßt. Diese knüpften an eine
Erneuerungsbewegung des Taoismus (Neotaoismus, Xuanxue- (Hsüan-hsüeh-) Bewegung,
Studium des Verborgenen) an und interpretierten indisch-buddhistische Begriffe
mit Hilfe taoistischer Bilder - z.B. Leerheit (shūnyatā) durch
Wu (Nicht-Sein, Leere), Weg (magga) und Ziel (nirvāna) durch
Tao.
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Zusätzlich zu den Lehren der indischen Mādhyamaka-Schule wurde
von der chinesischen Mādhyamaka-Schule noch die Lehre von den zwei
Wegen und den drei Zeitperioden in Buddhas Lehrtätigkeit vertreten.
Die zwei Wege, die der Buddha gelehrt hat, sind:
-
der Weg der Shrāvakas (Hörer) und Pratyeka-Buddhas (Einsam-Erwachten)
-
der Weg der Bodhisattvas.
Die drei Perioden in Buddhas Lehrtätigkeit sind:
-
1. Periode: Buddhāvatamsaka-Sūtra, womit Buddha seine Hörer
überforderte, deshalb folgten danach die einfacheren Lehren der zweiten
Periode,
-
2. Periode: alle übrigen frühbuddhistischen und
Mahāyāna-Lehren außer dem Lotos-Sūtra,
-
3. Periode: Lotos-Sūtra (Saddharmapundarīka-Sūtra), als das
eigentliche und Eine Buddha-Fahrzeug (ekayāna). Das Lotos-Sūtra
führt aus, daß der Buddha die verschiedenen Methoden und Fahrzeuge
(yānas) dank seiner Geschicklichkeit in der Methode (upāya)
gelehrt hat, daß sie aber im Letzten eins sind, da sie alle zur
Erleuchtung führen können. Ein Kapitel im Lotos-Sūtra ist
dem Bodhisattva Avalokiteshvara (Der die Schreie der Welt hört /
erhört) gewidmet. Der Buddha selbst wird nicht als historische
Person aufgefaßt, sondern als Manifestation des Dharmakāya.
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Diese chinesische Schule erhielt im 6. Jh. durch Zhiyi (智顗, Chih-i, oder auch
Zhizhe, Chih-che, jap. Chisha, 538-597) ihre eigentliche Gestalt, obgleich
Zhiyi (Chih-i) bereits als der vierte Patriarch dieser Schule gilt. Als ersten Patriarchen
bezieht sich die Tiantai (T'ien-t'ai-) Schule auf Nāgārjuna. Der Name Tiantai
(T'ien-t'ai) (himmlische Plattform) war der Name des Berges, auf den sich
Zhiyi (Chih-i) zurückgezogen hatte und wo er bis zu seinem Tode lehrte. Das zentrale Sūtra
dieser Schule ist das Saddharmapundarīka-Sūtra (Lotos-Sūtra),
so daß man auch von der Lotos-Schule spricht. In ihrer Lehre betont
die Tiantai- (Tien-tai-) Schule die Totalität allen Seins und legt diese anhand
der drei Wahrheiten dar:
-
Die Wahrheit der Leerheit: Alle Dinge (dharmas) sind abhängig und
bedingt, sie sind Leerheit.
-
Die Wahrheit der Scheinbarkeit: Alle Dinge (dharmas) erscheinen in zeitlich
begrenzter Existenz als Phänomen und können durch die Sinne
wahrgenommen werden, sie sind Scheinbarkeit.
-
Die Wahrheit der Mitte: Leerheit und Scheinbarkeit sind untrennbar
gegenseitig durchdrungen, sie sind eins, Soheit (tathatā).
Die Meditationspraxis war hauptsächlich auf die Shamatha-Vipashyanā
Methode (chin. Zhiguan, Chih-kuan, jap. Shikan) ausgerichtet.
Die Bücher Tongming zhiguan (T'ung-meng chih-kuan (Shamatha-Vipashyanā für Anfänger)
und Mohe zhiguan (Mo-ho chih-kuan, Großes Shamatha-Vipashyanā), beide von Zhiyi (Chih-i),
zählten in China zu den meistgelesenen Werken über Meditation.
Zhiyi (Chih-i) hat, wie kein anderer vor ihm, versucht, alle buddhistischen Lehren
zu systematisieren, ihre Einseitigkeiten und Extreme zu überwinden und
all diese vielfältigen Lehren harmonisch zu integrieren - dieses umfassende
Programm trägt den Namen: die Fünf Perioden und die Acht Lehren
des Buddha.
Die fünf Perioden in Buddhas Lehrtätigkeit sind:
-
Periode: Buddhāvatamsaka-Sūtra, womit Buddha seine Hörer
überforderte, deshalb folgten danach die einfacheren Lehren der zweiten
Periode,
-
Periode: die frühbuddhistischen Lehren,
-
Periode: elementare Mahāyāna-Lehren ohne
Prajñāpāramitā-Sūtren,
-
Periode: Prajñāpāramitā-Sūtren,
-
Periode: Lotos-Sutra (Saddharmapundarīka-Sūtra), als das
eigentliche und Eine Buddha-Fahrzeug (ekayāna). Das
Lotos-Sūtra führt aus, daß der Buddha die verschiedenen
Methoden und Fahrzeuge (yānas) dank seiner Geschicklichkeit in der
Methode (upāya) gelehrt hat, daß sie aber im Letzten eins
sind, da sie alle zur Erleuchtung führen können.
Ein Kapitel im Lotos-Sūtra ist dem Bodhisattva Avalokiteshvara (Der
die Schreie der Welt hört/erhört) gewidmet. Der Buddha selbst
wird nicht als historische Person aufgefaßt, sondern als Manifestation
der Dharmakāya.
Zwar, sagt Zhiyi (Chih-i), hat der Buddha all diese Lehren im allgemeinen in dieser
zeitlichen Reihenfolge gelehrt, dennoch kann man auch sagen, daß er
sie alle gleichzeitig gelehrt hat, indem er sich von Fall zu Fall auf die
Bedürfnisse und Qualitäten der Schüler eingestellt hat - daher
kann man auch eine methodische Klassifizierung vornehmen, nämlich in
die Acht Lehren:
Plötzliche Methode, allmähliche Methode, geheime Methode, unbestimmte
Methode, Shrāvaka- und Pratyeka-Buddha-Lehren, allgemeine Lehren,
Bodhisattva-Lehren, runde Lehren (Buddhāvatamsaka-Sūtra und besonders
das Lotos-Sūtra).
Erste Lehren der Tiantai-Schule wurden durch den chinesischen Mönch Jianzhen
(鑒真, Chien-chen, jap. Ganjin, 688–763) in der Nara-Zeit nach Japan gebracht.
Im Jahr 804 reisten die beiden japanischen Mönche Kūkai (空海, 774-835, siehe auch Kapitel
4.2.) und Saichō (最澄, 767-822) mit einer Regierungsdelegation nach China. Saichō
(posthum Dengyō Daishi, 伝教大師) studierte Tiantai (T'ien-t'ai, jap. Tendai) unter
Meister Daosui (道邃, Tao-sui), Chan unter Meister Xiaoran (小冉, Hsiao-jan) und Vajrayāna-
(Zhenyan-, Chen-yen, jap. Shingon-) Lehren unter Meister Shunxiao (順暁, Shun-hsia, ein
Schüler von Śubhākarasimha). Zurückgekehrt nach Japan widmete sich Saichō vornehmlich der
Weitergabe der Tendai-Lehren und der Praxis von Shamatha/Vipashyanā (Zhiguan, Chih-kuan,
jap. Shikan), bezog aber Vajrayāna-Lehren unter dem Namen Mikkyō in seine Lehrtätigkeit
mit ein. Er gründete ein großes Kloster auf dem Berg Hiei-san und etablierte dort zwei
Studienzentren, eines für Studien zum Lotos-Sutra und eines für Studien zum Vajrayana.
Durch Spaltungen, Machtkämpfe und politische und militärische Auseinandersetzungen kam
es nach und nach und insbesondere im japanischen Mittelalter zu einem Niedergang der
Tendai-Schule.
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Diese Schule wurde in Japan im 13. Jh. von Nichiren (日蓮, 1222-1282), einem ehemaligen
Mönch der Tendai-Schule gegründet und trägt auch den Namen
Neue Lotos Schule. Er sah die Lehren des Lotos-Sūtra als den einzigen
Weg zur Erleuchtung an, vertrat als Meditationspraxis allein das Rezitieren
der Formel Namu Myōhō Renge-kyō (Verehrung dem Sūtra
des Lotos des guten Gesetzes), griff alle anderen buddhistischen Schulen
und die sie unterstützenden Herrscher heftigst an:
„Jōdo-shū ist die Hölle, Ritsu ist Hochverrat, Shingon ist
nationaler Ruin, Zen ist Ausdruck teuflischer Mächte“, etc.
Nichiren wollte in Japan auf der Basis seiner Lehren ein irdisches Buddha-Reich
errichten, das sich von dort aus dann über die ganze Welt verbreiten
sollte - daher ist bei ihm sozialpolitisches Engagement untrennbar mit
fundamentalistischer Radikalität und japanischem Chauvinismus
verknüpft. Sein Ziel, Kosen-rufu, d.h. Frieden und Glück für
die ganze Menschheit durch den Wahren Buddhismus rechtfertigt für ihn
den Gebrauch jeglicher Mittel: Verteidiger des Wahren Gesetzes brauchen die
fünf grundlegenden ethischen Gelübde nicht zu befolgen und müssen
die Regeln für rechtes Verhalten nicht beachten. Statt dessen sollten
sie Messer und Schwerter, Bogen und Pfeile tragen. (ursprünglich ein
Zitat aus dem Nirvāna Sutra). Sein kompromißloses sektiererisches
Auftreten führte zunächst zum Ausschluß aus seinem Kloster
und später zu politischen Verurteilungen.
Im 20. Jh. entstanden in Japan auf dieser Basis eine Reihe neuer Schulen:
-
Nichiren-shōshū anerkennt als autoritativ nur die Schriften Nichirens
als des Buddha der Endzeit und wird von einer kleinen Priesterschaft geleitet.
-
Sōka Gakkai war zunächst die Laien-Bewegung von
Nichiren-shōshū, bis es 1990 aufgrund eines Machtkampfes zwischen
Sōka Gakkai Präsident Daisaku Ikeda (池田 大作) und der Priesterschaft von
Nichiren-shōshū zum Bruch kam. Sōka Gakkai ist eine
Massenbewegung (weltweit 20 Millionen Mitglieder, davon 16 Millionen in Japan)
mit äußerst aktiver Mitgliederwerbung. Das Ziel ist: ein Drittel
jeder Gesellschaft sollten Mitglieder von Sōka Gakkai sein, ein weiteres
Drittel der Bewegung positiv gegenüberstehen, so daß Sōka
Gakkai wirkungsvoll die Politik kontrollieren kann. Auf religiöser Ebene
wird wie bei Nichiren-shōshū die Verehrung Nichirens und des
Lotus-Sūtra betont, sowie das Rezitieren der Formel Namu Myōhō
Renge-kyō (durchaus auch mit der Absicht zur Erfüllung beliebiger
weltlicher Wünsche). Sōka Gakkai verfügt über eine eigene
Presse, Schulen, Universitäten, soziale Einrichtungen und hat eine eigene
politische Partei mit dem Namen Komeito gegründet, die sich gegen Korruption
und für eine Wahre Buddhistische (d.h. Nichiren-buddhistische) Demokratie
engagiert.
-
Risshō Koseikai ist eine buddhistische Volksbewegung, die die
ursprüngliche Buddha-Lehre mit Nichirens Lehre zu verbinden sucht und
auch in der Sozialhilfe und Erziehung tätig ist.
-
Nipponzan Myōhōji wurde von Fujii Nichidatsu (日達 藤井) gegründet,
der sich von den anderen Nichiren-Schulen trennte, um gemäß einer
Prophezeiung von Nichiren den Buddhismus auf Wanderungen durch ganz Asien
zu verbreiten. Im 2. Weltkrieg wurde Fujii zum radikalen Pazifisten, so daß
der Schwerpunkt der Schule heute neben der Verehrung des Lotos-Sūtra
und der Errichtung von Friedens-Pagoden insbesondere in der Durchführung
weltweiter Friedensmärsche besteht.
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Die Yogāchāra-Schule vertritt einen absoluten Idealismus: Die
Welt ist ausschließlich Geist (citta), daher auch der Name
Cittamātra-Schule (= Nur-Geist-Schule). Diese Schule stützt sich
auf das Lankāvatāra-Sūtra, das Ratnagotravibhaga, das
Buddhāvatamsaka-Sūtra und das Sandhinirmocana-Sūtra. Als
Gründer gelten Saramati im 3. Jh., Maitreya(nātha) im 3./4. Jh.,
sein Schüler Asanga und dessen Bruder Vasubandhu im 4./5. Jh.
Von Asanga, der mehr Wert auf das Praktizieren des Dharma legte, stammt der
Name Yogāchāra (Wandel im Yoga, wobei Yoga hier allgemein für
meditative Praxis steht). Von Vasubandhu, der mehr die Philosophie betonte,
stammt der Name Vijñānavāda (Bewußtseins-Schule).
Alle Dinge (dharmas) bestehen nur als Erkenntnisvorgänge. Es gibt keine
(unabhängigen) Objekte der Außenwelt, es gibt kein (unabhängiges)
erkennendes Subjekt, es gibt nur eine Imagination, einen Traum im reinen Geist,
im absoluten Grundbewußtsein. Dieses Grundbewußtsein heißt auch
Speicherbewußtsein (ālaya-vijñāna), da in ihm alle
früheren Eindrücke in Form von Samen (bīja) gespeichert sind.
Karma ist der Prozeß des Wachsens und Reifens dieser Samen. Wenn diese
Samen in das Individual- oder Denkbewußtsein (manovijñāna)
aufsteigen und dort interagieren, so entsteht dort die Täuschung einer
realen Existenz von Ich und Dingen.
Die Natur aller Phänomene ist zunächst einmal: imaginiert und abhängig.
Doch zugleich sind alle Phänomene vollkommen und rein, da sie in ihrem
Wahren Wesen eins mit dem absoluten Grundbewußtsein sind, für
welches die Worte Leerheit (shūnyatā), oder Nicht-Dualität
(advaya), oder Soheit (tathatā), oder Buddha-Natur (tathāgatagarbha)
nur Hinweise sein können.
Aber, so sagt Vasubandhu, die letztliche Bedeutung dieser Worte und des ganzen
Vijñānavāda sind dem Denken nicht zugänglich, sondern
nur von einem Buddha erfahrbar.
Asanga entwickelte die volle Drei-Körper-Lehre (trikāya):
-
Dharmakāya (Körper des Dharma): die transzendente Wirklichkeit
der Buddhas, die Einheit in allem Seienden (im Rahmen der schöpferischen
Meditation der Dhyāni-Buddhas (siehe unten) ab dem 10. Jh. auch
personifiziert als Vairochana).
-
Sambhogakāya (Körper des Entzückens): die verschiedenen
Einzel-Aspekte der Erleuchtung der Buddhas, die die Bodhisattvas zur Schulung
und gleichsam in Vorwegnahme ihrer eigenen Erleuchtung in schöpferischer
Meditation im ihrem Geist manifestieren. Eine verbreitete Praxis ist die
Meditation über die Dhyāni-Buddhas: Akshobhya für die
Weisheit des Widerspiegelns, Ratnasambhava für die Weisheit der
Verstehens der Gleichheit aller Wesen und Dinge, Amitābha für
Weisheit der Schau und Unterscheidung, Amoghasiddhi für die Weisheit
des allesvollendenden und befreiten Handelns.
-
Nirmānakāya (Körper der Verwandlung): der irdische
Körper der Buddhas.
Der Weg zur Befreiung wird in vier Stufen gegliedert:
-
Vorbereitung: das Praktizieren der pāramitās, das Praktizieren
der Sammlung (samādhi) durch Vertiefung von Shamatha/Vipashyanā,
ein erstes Verständnis der Nur-Geist-Lehre.
-
Erkenntnis, Anschaung: intuitive Erkenntnis der Nicht-Dualität.
-
Entweder Geistige Schöpfung (Asanga ) oder Verzicht (Vasubandhu):
- Geistige Schöpfung: das Durchlaufen der zehn Stufen (bhūmi,
wörtl. Land) eines Bodhisattva. Die Begriff der zehn Bodhisattva-Stufen
ist bereits früher, etwa im 3. Jh., entstanden.
- Verzicht: das Beenden von In-Erscheinung-Treten, d.h. des Kreierens neuer
Samen durch dualistisches Denken.
-
Erlangung: durch direkte Wahrnehmung der Soheit, des absoluten
Grundbewußtseins.
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Die chinesische Faxiang- (Fa-hsiang-) Schule geht auf die Arbeiten von Xuanzang
(玄奘, Hsüan-tsang, 596-664) und seiner Schüler zurück. Xuanzang (Hsüan-tsang) reiste nach
Indien, studierte dort lange den Buddhismus und kehrte schließlich
mit einer Bibliothek von 657 buddhistischen Texten nach China zurück,
von denen er mit seinen Schülern 75 ins Chinesische übersetzte.
In Bezug auf die Buddhanatur schloß sich Xuanzang (Hsüan-tsang), im Gegensatz
zu anderen chinesischen Mahāyāna-Schulen, der Ansicht von Dharmapāla (6. Jh., ein
Schüler des Logikers und Yogāchāra-Gelehrten Dignāga) an, daß nicht alle Wesen
die Buddha-Natur besitzen; so etwa nicht ein Ichchantika, ein Mensch, der
alle heilsamen Wurzeln in sich abgeschnitten und keinen Wunsch nach Erlangung
der Buddhaschaft hat.
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Der Grundtext dieser frühen chinesischen Yogāchāra-Schule
(6. Jh.) war vor allem das Shih-ti-ching-lun (eine Übersetzung von
Vasubandhus Daśabhūmivyākhyāna, einem Kommentar zum Daśabhūmikasūtra),
das besonders den Stufenweg der Bodhisattvas zur Erleuchtung betont.
Darüber hinaus stand vor allem die Lehre vom Speicherbewußtsein
im Mittelpunkt des Interesses, wobei sich zwei verschiedene Sichtweisen
entwickelten:
-
Die nördliche Dilun- (Ti-lun-) Schule hielt das Speicherbewußtsein für
ebenso unwirklich, wie alle anderen Dinge (dharmas) und getrennt vom Absoluten
(Soheit) und die Buddha-Natur nicht für angeboren, sondern für
erlangt im Moment der Erleuchtung. Diese Schule ging später in die
Faxiang- (Fa-hsiang-) Schule auf.
-
Die südliche Dilun- (Ti-lun-) Schule hielt das Speicherbewußtsein für
identisch mit dem Absoluten (Soheit) und die Buddha-Natur für angeboren.
Aus dieser Schule entwickelte sich die Huayan-Schule.
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Diese Schulrichtung wurde in China zu Beginn des 5. Jh. von Daosheng (道生, Tao-sheng,
355-434) begründet und stützte sich hauptsächlich auf das Mahāparinirvāna-Sūtra.
In diesem Sūtra wird die Lehre von der Buddha-Natur (tathāgatagarbha) vertreten,
daß nämlich alle Wesen Buddha-Natur bereits besitzen. Daher weist Daosheng (Tao-sheng)
auch die These der Faxiang- (Fa-hsiang-) Schule von den absolut unerlösbaren Wesen, die
alle heilsamen Wurzeln in sich abgeschnitten haben (den Ichchantikas) zurück.
Das Mahāparinirvāna-Sūtra beschreibt Nirvāna als
einen freudvollen, reinen und ewigen Zustand. Daraus schließt Daosheng (Tao-sheng),
daß es keinen Stufenweg zur Befreiung geben kann, denn ein einfaches
mehr und mehr Verstehen kann ja nie zu allumfassendem Verstehen führen
- also ist echte Befreiung nur durch unmittelbares Erwachen zur Buddha-Natur
(tun-wu) möglich. Ganz ähnliche Gedanken finden sich später
in der tibetischen Jonang-Schule.
Da diese Sichtweise im Gegensatz zum Verständnis der
Prajñāpāramitā-Sūtren steht, wurde sie weithin
abgelehnt. Daosheng (Tao-sheng) versuchte diese verschieden Sichtweisen zu versöhnen
und eine Synthese zwischen diesen beiden Sūtren zu schaffen, indem
er lehrte, daß Weg, Ziel, Leerheit, Buddha-Natur, Samsāra und
Nirvāna nur verschiedene Namen für diese eine, unteilbare Wirklichkeit
sind.
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Die Huayan- (Hua-yen-) Schule trägt ihren Namen vom Buddhāvatamsaka-Sūtra
und wurde von Fazang (法藏, Fa-tsang, 643-712) begründet. Sie lehrt die Totalität
allen Seins, d.h.:
- 1. die Gleichheit aller Dinge: „Buddha, Geist, Lebewesen und Dinge sind ein
und dasselbe“.
- 2. die Abhängigkeit aller Dinge voneinander: „Alle Dinge münden in
Einem, dies Eine manifestiert sich in den Dingen, so daß Dinge und
Eines nicht getrennt sind“ - d.h. sie sind Soheit (tathatā). Diese
Soheit hat einen statischen Aspekt, Leerheit, und einen dynamischen Aspekt,
die Phänomene. Beide sind durch gegenseitiges abhängiges Bedingen
und Durchdringen untrennbar ineinander verflochten (siehe aktuell z.B. den
von Thich Nhat Hanh geprägten Begriff: InterBeing oder InterSein).
Die Huayan- (Hua-yen-) Schule unterscheidet sich von anderen Mahāyāna-Schulen
dadurch, daß sie nicht wie diese die Beziehung zwischen Phänomen
und Absolutem betont, sondern die Beziehung zwischen Phänomen und
Phänomen.
Die Huayan- (Hua-yen-) Schule versucht eine Integration aller Lehren des Buddha,
ähnlich der Tiantai- (T'ien-t'ai-) Schule, indem sie die gesamten buddhistischen Lehren
in fünf Gruppen einteilt:
- frühbuddhistischen Lehren,
- elementare Mahāyāna-Lehren, wie Sanlun- (San-lun, Mādhyamaka)
und Faxiang (Fa-hsiang, Yogāchāra),
- die endgültige Mahāyāna-Lehre, wie sie von der
Tiantai- (T'ien-t'ai-) Schule vertreten wird,
- der Weg der plötzlichen Erleuchtung, Chan (Ch'an, jap. Zen),
- Huayan (Hua-yen), die runde Lehre des Mahāyāna.
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Die vietnamesische Thiēn-Tradition (chin. Chan, jap. Zen) beginnt bereits
im 3. Jh. (und damit etwa 300 Jahre vor Bodhidharmas Wirken in China) mit
dem Dhyāna-Meister Tang Hōi. Die große Wertschätzung
der Thiēn-Schule für eine Synthese von Theravāda und
Mahāyāna geht auf Tang Hōi zurück, der die Sūtren
dieser beiden großen Traditionen übersetzte und lehrte. Im Jahr
255 reiste er nach Nanking in Südchina weiter und lehrte dort 25 Jahre
lang Meditation. Tang Hōi war auch der erste buddhistische Meister,
der chinesische Mönche ordinierte und er brachte für diese Zeremonie
eigens 10 vietnamesische Mönche mit sich.
Im Jahr 580 kam der indische Dhyāna-Meister Vinitaruci, ein Schüler
des 3. chinesischen Chan-Patriarchen Sengcan (僧璨, Seng-ts'an, jap. Sōzan) nach Vietnam
und gründete dort eine Chan-Schule. Im Jahr 820 ging der chinesische
Chan-Meister Wu Yandong (Wu Yen-t'ung), ein Schüler von Baizhang Huaihai
(百丈懷海, Pai-chang Huai-hai, jap. Hyakujō Ekai) nach Vietnam und begründete die berühmte
Vo-Ngon-Thong-Schule.
Die Thao-Duong-Schule gelangte durch den chinesischen Mönch Caotang (草堂, Ts'ao-t'ang),
einen Schüler von Xuedou Zhongxian (雪竇重顯, Hsüeh-tou Ch'ung-hsien, jap. Setchō Jūken),
Autor des berühmten Chan-Textes Biyan Lu (Pi-yen-lu), im späten 11. Jh. nach
Vietnam und steht damit in der Tradition der chinesischen Yunmen- (Yün-men-) Chan-Schule.
Mit ihr erreichte im 13. Jh. der Buddhismus in Vietnam seinen
Höhepunkt unter dem Thiēn-Meister Trúc Lām und seiner
Bambuswald-Schule. Im Norden Vietnams blieb die Bambuswald-Schule bis heute
die bedeutendste Schule, während sich im Süden durch das Wirken
des großen Meisters Liēu Quán (1670-1742) die
Lām-Tē-Schule (chin. Linji, Lin-chi, jap. Rinzai) stärker verbreitete.
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Die Chan-Schule in China, und ebenso die Seon-Schule in Korea und die Zen-Schule
in Japan berufen sich als ihren ersten chinesischen Patriarchen auf den indischen
Mönch Bodhidharma (達摩, Putidamo, P'u-t'i-ta-mo, jap. Bodaidaruma), der vermutlich
etwa zu Beginn des 6. Jh. in China wirkte. Bodhidharma vertrat die Tradition
der indischen Dhyāna-Schulen (Pali: jhāna = Skrt: dhyāna = Meditation, Versenkung),
die außerordentlichen Wert auf die Praxis der Meditation legten, insbesondere auf das
Praktizieren der Sammlung (samādhi) durch Vertiefung von Shamatha/Vipashyanā.
Bodhidharmas Unterweisungen basierten auf den traditionellen Mahāyāna-Sūtren,
insbesondere betonte er die Wichtigkeit des Lankāvatāra-Sūtra.
Der 4. Patriarch Daoxin (道信, Tao-hsin, jap. Dōshin, 580-651) ließ sich schließlich im
Tempel auf dem 'Ostberg' (Shuangfeng) in der Provinz Huangmei nieder, wo er 30 Jahre lang
eine große Zahl von Mönchen und Laien ausbildete. Obwohl er über eine breite Ausbildung
in verschiedenen chinesischen buddhistischen Schulen verfügte legte er seinen
Schwerpunkt auf eine intensive meditative Praxis, führte aber auch als erster Meister
Arbeitsmeditation (作務, Zuo wuzuo, Tso-wu-tso, jap. Samu)
zur Selbstversorgung seiner Mönchsgemeinschaft ein.
Lange nach seinem Tod erschienen Lehrreden von ihm: Die fünf Tore von Daoxin'.
Darin heißt es unter anderem: "Buddha ist der Herz-Geist - und außerhalb davon gibt es
keinen Buddha."
Sein Schüler Hongren (弘忍, 601–674), ein sehr stiller und ernsthafter Meditierender,
folgte Daoxin als Leiter der Gemeinschaft des Ostberges nach und wurde so als der 5.
Partriarch des Chan bekannt. Unter ihm erblühte die Ostberg-Chan-Schule weiter.
Sein Nachfolger und damit 6. Patriarch des Chan wurde der berühmte Mönch Shenxiu (神秀,
Shen-hsiu, jap. Jinshū, 606?–706), der einer Einladung der buddhistischen Kaiserin Wu
Zetian (皇帝, 624-705) in die Hauptstadt Luoyang folgte und so den Lehren der
Ostberg-Schule zu noch mehr Prominenz verhalf. Luoyang war nun der chin. Endpunkt der
nördlichen Seidenstraße und infolgedessen fanden sich Schriften der Ostberg-Schule auch
in den buddhistischen Höhlen der Seidenstraßen-Oasenstadt Dunhuang. Ebenso gab es
Kontakte zwischen Lehrern der Ostberg-Schule und buddhistischen Lehrern
der tibetischen Nyingma-Schule. Berühmt wurde z.B. ein öffentlicher Disput in Samye in
Tibet zwischen dem indischen Mönch Kamalashila, der einen Stufenweg propagierte,
und dem chinesischen Mönch Moheyan (摩訶衍, spätes 8. Jh.) aus der Ostberg-Schule, der
interessanterweise den Weg der plötzlichen Erleuchtung vertrat.
Einer der vielen Mönchsschüler von Hongren war der südchinesische Mönch Huineng (惠能,
Hui-neng, jap. Enō). Und dieser nun hatte einen Schüler namens Shenhui (神会, Shen-hui,
jap. Jinne, 684-758), der nach Huinengs Tod proklamierte:
1. der wahre Nachfolger von Hongren sei sein Meister Huineng gewesen,
2. Huineng habe die Lehre vom plötzlichen Erwachen gelehrt, im Gegensatz zum sog.
Stufenweg von Shenxiu,
3. es gäbe eine Südschule des Chan, die Huineng und er, Shenhui, vertreten würden,
und im Gegensatz dazu eine Nordschule des Chan, die sich eben auf Shenxiu und
dessen Nachfolger beziehen würden.
Shenhuis Agitation in Verbindung mit seinem auch ansonsten problematischen Charakter
führte zu einem raschen Erlöschen seiner Übertragungslinie. Neben der Ostberg-Schule und
der Shenhui-Schule gab es seinerzeit in Südchina noch die sog.
Ochsenkopfschule, die auf Farong (法融, Fa-jung, 594-657), einen Schüler des 4.
Patrirchen Daoxin zurückging.
Diese Ochsenkopfschule griff nun nach Shenhuis Tod dessen Lehren auf konstruierte eine
eindrückliche, aber völlig frei erfundene Geschichte vom Leben Huinengs als dem 6.
Patriarchen des Chan, das später sehr berühmt bewordene Plattform-Sutra des 6.
Patriarchen.
Gemäß dieser Legende vom „einfachen und ungebildeten Mann aus dem Volk“ Huineng und
seinen Schülern wurde in der südlichen Chan-Schule das indische spekulative Denken als
Erbe der Mahayana-Sutren endgültig abgelöst durch typisch
chinesische Geisteshaltungen, wie die Betonung des Natürlichen, Diesseitigen und
Praktischen.
Aus der Vielzahl der großen chinesischen Chan-Meister der Tang-Dynastie (618-906) seien
hier nur zwei Schüler und Dharma-Nachfolger des großen Meisters Mazu Daoyi (馬祖道一,
Ma-tsu Tao-i, jap. Baso Dōitsu, 709-788) genannt. Mazu selbst wird in der fragwürdigen
Traditionslinie als ein Dharma-Enkel von Huineng (Hui-neng) bezeichnet. Seine beiden
berühmten Schüler waren:
Baizhang Huaihai (百丈懷海, Pai-chang Huai-hai (jap. Hyakujō Ekai, 720-814): er schuf die
Regeln für das Leben und den Tagesablauf in Chan-Klöstern und betonte dabei ebenso wie
der 4. Patriarch die Bedeutung sowohl der Meditation als auch der täglichen Arbeit im
Kloster.
Nanquan Puyuan (南泉普願, Nan-ch'üan P'u-yüan, jap. Nansen Fugan, 748-835): von ihm stammt
vermutlich die Charakterisierung des Chan durch die Vier Aussagen:
- eine besondere Überlieferung außerhalb der orthodoxen Lehre,
- unabhängig von heiligen Schriften,
- das unmittelbare Deuten auf den Herz-Geist des Menschen,
- die Schau des eigenen Wesens und Verwirklichung der Buddha-Natur.
An die Stelle der Sūtren und Kommentarliteratur traten jetzt Sammlungen
mit den Kurzbiographien der Chan-Meister der Traditionslinie und Sammlungen
mit Geschichten über Begegnungen und Aussprüche dieser Meister.
Diese Zen-Geschichten zeigen exemplarisch die hohe Kunst des unmittelbaren
Deutens auf den Herz-Geist und des Erweckens der Schüler - die wichtigsten
Text-Sammlungen sind:
-
Jingde Chuandenglu (Ching-te chu'an-teng-lu, jap. Keitoku Dentō-roku), Aufzeichnung
über die Weitergabe der Leuchte, verfaßt in der Jingde- (Ching-te-) Zeit,
zusammengestellt von dem chin. Mönch Shi Daoyuan (釋道原 ,Tao-yüan, auch Tao-hsüan, jap.
Dōgen) im Jahr 1004 - mit 30
Bänden (!) das wichtigste Quellenwerk des Chan.
Auszüge in engl. Übersetzung:
The Transmission of the Lamp, Sohaku Ogata, Wolfeboro, N.H., 1989.
und die deutsche Übersetzung dieses engl. Werkes: Zen, Chung-yuan, Chang,
Frankfurt/Main, 2000.
Original Teachings of Chan Buddhism, Chang Chung-yuan, New York, 1969.
-
Keizan Oshō Denkō-roku, Aufzeichnung des Mönchs Keizan
über die Weitergabe des Lichts, zusammengestellt von dem jap. Meister
Keizan Jōkin (瑩山紹瑾, 1268-1325), Kurzbiographien der Meister der
Sōtō-Übertragungslinie bis hin zu Eihei Dōgen Zenji (道元, 1200-1253).
-
Biyan Lu (Pi-yen-lu, jap. Hekigan-roku), Niederschrift von der smaragdgrünen
Felswand, zusammengestellt von dem chin. Meister Xuedou Zhongxian
(雪窦智鑑, Hsüeh-tou Chung-hsien, jap. Setchō Jūken, 980-1052) und kommentiert von
Yuanwu Keqin (圓悟克勤, Yüan-wu K'o-ch'in jap. Engo Kokugon, 1063-1135).
-
Congrong Lu (Ts'ung-jung-lu, jap. Shōyō-roku), Das Buch der heiteren Gelassenheit,
zusammengestellt von dem chin. Meister Hongzhi Zhengjue (宏智正覺, Hung-chih Cheng-chüeh,
jap. Wanshi Shōgaku, 1091-1157) und kommentiert von Wansong Xingxiu
(萬松行秀, Wan-sung Hsing-hsiu, jap. Banshō Gyōshū, 1166-1246).
-
Wumen Guan (Wu-men-kuan, jap. Mumonkan), Die torlose Schranke, zusammengestellt von dem
chin. Meister Wumen Huikai (無門慧開, Wu-men Hui-k'ai, jap. Mumon Ekai, 1183-1260).
-
Kong Guji (K'ung Ku-chi), Empty valley collection, zusammengestellt
von Touzi Yiqing (投子義青, T'ou-tzu I-ch'ing, jap. Tōsu Gisei, 1032-1083) - liegt
bislang nur auf chinesisch als Teil der buddhistischen Schriften-Sammlung
Wanxu Zangjing (Wan-hsü Tsang-ching) vor.
Aus der südlichen Chan-Schule gingen in China die Fünf Häuser
hervor:
- Caodong-Schule (Ts'ao-tung, jap. Sōtō),
- Yunmen-Schule (Yün-men, jap. Ummon),
- Fayan-Schule (Fa-yen, jap. Hōgen),
- Guiyang-Schule (Kuei-yang, jap. Igyō),
- Linji-Schule (Lin-chi, jap. Rinzai).
Dabei betont die Caodong-Schule (Ts'ao-tung, jap. Sōtō-Schule) in der
Meditation die Praxis des Mo-chao (Mo-ch'ao, jap. Mokushō),
des heiter gelassenen Widerspiegelns, ganz wie die indischen Dhyāna-Meister und die frühen
Chan-Meister (und übrigends auch die tibetischen Mahāmudrā-Meister, siehe z.B. Garma C.C.
Chang, 1979).
Die Linji-Schule (臨濟, Lin-chi, jap. Rinzai) legt seit dem chin. Meister
Dahui Zonggao (大慧宗杲, Ta-hui Tsung-kao, jap. Daie Sōkō, 1089-1163)
in der Meditation sehr großen Wert auf die Praxis des
Kanhua (K'an-hua, jap. Kanna), des Betrachtens
der Worte, wie die Übung mit Hilfe einer Chan-Geschichte, d.h. einem
Gongan (Kung-an, jap. Kōan, wörtl. öffentlicher Aushang), genannt
wird. Dabei liegt das Schwergewicht auf dem Erreichen von Zuständen
sehr hoher Sammlung mit Hilfe der ununterbrochenen Gongan-Praxis, um von
dort aus das eigene existenzielle Lebensproblem zu lösen und Satori
(Erkenntnis, Erleuchtung), bzw. synonym Jianxing (Chien-hsing,
jap. Kenshō, das Sehen der eigenen Buddha-Natur), zu erfahren und in der Folge
zu vertiefen.
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Viele chinesische Chan-Meister, so etwa der 4. chinesische Patriarch Daoxin (Tao-hsin)
und einige Nachfolger von Mazu (Ma-tsu), hatten auch koreanische Schüler, die
dann wieder nach Korea zurückgingen und dort begannen, den
Chan-Übungsweg weiterzugeben. So entstanden in Korea die bedeutenden
Schulen der Neun Seon-Berge. Der berühmteste koreanische Seon-Meister
war jedoch wohl Jinul Puril Bojo (普照知訥, Chinul, 1158-1210), unter dessen Wirken die
Seon-Tradition in ganz Korea lebendig erblühte. Jinul wurde besonders stark von den
Lehren des chinesischen Linji- (Lin-chi-) Meister Dahui Zonggao (大慧宗杲, Ta-hui Tsung-kao,
jap. Daie Sōkō, 1089-1163) inspiriert. Der koreanische Seon-Meister Taego
Bou (太古普愚, 1301-1382) schließlich, ein Schüler des chin. Linji- (Lin-chi-) Meisters
Gushan Shigui (鼓山欄位, Ku-shan Shih-kuei, 1083–1146), vereinigte die Neun Seon-Berge zum
Chogye-Orden, welcher bis zur Gegenwart die bedeutendste koreanische Seon-Schule blieb.
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Die erste Begegnung mit der Chan-Schule hatte Japan schon sehr früh
durch den japanischen buddhistischen Mönch Dōshō (道昭, 629–700),
der in China bei Xuanzang (玄奘, Hsüan-tsang, 602-664) die Yogāchāra-Philosophie studierte
und sich bei Huiman (慧滿, Hui-man), einem Schüler des 2. chinesischen Patriarchen
Huike (慧可, Hui-k'o, 487–593), im Chan übte. Er besuchte auch den 4. Patriarchen Daoxin
(道信, Tao-hsin, jap. Dōshin, 580-651). Nach seiner Rückkehr nach Japan errichtete er in
Nara die erste japanische Zen-Halle - und wirkte daneben überall im Land als ein tätiger
Bodhisattva, ließ Brunnen bohren, Fähren einrichten und Brücken bauen.
Im 12. Jh. brachte der japanische Mönch Myōan Eisai (明菴栄西, auch Senkō
Kokushi genannt, 千光国師, 1141-1215) die Rinzai- (chin. Linji-, Lin-chi-) Schule nach
Japan und begründete das erste japanische Zen-Kloster Shōfuku-ji. Später wirkte er
lange als Abt im Kennin-ji Kloster in Kyoto, wo er neben Zen auch Tendai
und Shingon lehrte.
Im 13. Jh. brachte der japanischen Tendai-Mönch Eihei Dōgen (永平道元, 1200-1253) die Sōtō-
(chin. Caodong-, Ts'ao-tung-) Schule nach Japan. Er gründete das Kloster Eihei-ji und von
seinem umfangreichen und tiefgründigen schriftstellerischen
Werk sei hier nur das Shōbō-genzō Zuimonki,
Die Schatzkammer der Erkenntnis des Wahren Dharma, genannt. In
seinen Lehren betont Dogen vor allem zwei Punkte:
- Shikantaza: nichts als Sitzen, die Versenkung ohne stützende
Hilfsmittel,
- Shushō Ichigyō: Übung und Erleuchtung sind eins.
Im 17. Jh. gründete der chinesische Chan-Meister Yinyuan (隱元隆琦, Yin-yüan, jap. Ingen
Ryūki, 1592-1673) in Japan die Ōbaku-Schule, eine Nebenlinie der Rinzai-Schule.
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Der König Song des südkoreanischen Staates Paekche schickte in
der Mitte des 6. Jh. den Mönch Kyomik zum Studium des Buddhismus nach
Indien. Nach seiner Rückkehr begründete dieser in Korea mit der
Yulchong-Schule eine sogenannte Vinaya-Schule. Die Vinaya-Schulen stellten
in den Mittelpunkt ihrer Praxis die Übung der Achtsamkeit auf das Einhalten
der Vinaya-Regeln, das heißt der von Buddha im Laufe der Jahrzehnte
seines Lehrens in Indien für die buddhistischen Mönche und Nonnen
empfohlenen Lebensregeln.
Die Lü-Schule (Lüzong, Lü-tsung) in China wurde von Dao Xuan (道宣, Tao-hsüan, 596-667)
gegründet. Der Schwerpunkt lag in der Praxis der Vinaya-Regeln
gemäß dem Dharmaguptaka-Vinaya (250 Mönchs-, bzw. 348
Nonnen-Gelübde). Dieses Vinaya wurde in China von den
frühbuddhistischen Schulen ebenso als verbindlich anerkannt, wie von
den Mahāyāna-Schulen und enthält auch Bodhisattva-Lehren.
Der bedeutende chinesische Meister Jianzhen (鑒真, Chien-chen, jap. Ganjin, 688-763)
brachte auf Einladung der kaiserlichen japanischen Familie die Lü-Schule
im Jahr 754 nach Japan, wo sie als Risshū (ritsu-shū, die Verhaltensregeln-Schule)
bezeichnet wurde.
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Eine in China im 6. Jh. von Xinxing (信行, Hsin-hsing, 540-594) begründete Schule.
Er teilte die buddhistische Lehre in drei Zeit-Perioden ein (Drei Stufen-Schule):
- Das wahre Dharma während der ersten fünfhundert Jahre
nach Buddha.
- Das verfälschte Dharma während der nächsten 1000 Jahre.
- Der Verfall des Dharma für die nächsten 10000 Jahre, beginnend
im Jahr 550 u.Z.
Für die dritte Periode sei die einzig richtige Praxis: striktes Einhalten
der Regeln (shīlas) und Askese (nur einmal Nahrung pro Tag), Almosengeben
und altruistische Handlungen. Die Sanjie-jiao- (San-chieh-chiao-) Schule zeigte
stark sektiererische Züge, da sie sich allein im Besitz der Richtigen Lehre glaubte
und alle anderen buddhistischen Schulen der Häresie beschuldigte.
Da alle Wesen Manifestationen der Buddha-Natur sind, praktizierten die
Anhänger dieser Schule auch Niederwerfungen vor Fremden und vor Tieren
auf der Straße.
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Diese Schule wurde in China im Jahre 402 von Huiyuan (慧遠, Hui-yüan, 334-416) unter
dem Namen Weißer-Lotos-Gesellschaft gegründet. Das Ziel der
Anhänger dieser Schule ist es, nach ihrem Tod im Reinen Land des Buddha
Amitābha (chin. Amituo, jap. Amida), d.h. im Westlichen Paradies
(sukhāvatī, chin. jingtu, jap. jōdo) wiedergeboren zu werden, um dort solche
geistigen Fortschritte zu machen, daß in der nächsten (menschlichen oder göttlichen)
Wiedergeburt mit Sicherheit Nirvāna verwirklicht wird. Etwas später vertrat
Danluan (Tan-luan) den Gedanken, daß in einer Zeit des Verfalls der buddhistischen
Lehren die eigene Kraft nicht ausreicht, um Erleuchtung zu erlangen. Daher
verwarf er die Schweren Wege der anderen Schulen und lehrte den Leichten
Weg: die Rezitation von Buddha Amituos (jap. Amidas) Namen (jap. nembutsu) in
gläubigem Vertrauen, die durch Amituos (jap. Amidas) Hife dann nach dem Tod
zur Wiedergeburt in seinem reinen Land führt. Da diese Praxis, verglichen
mit der anderer buddhistischer Schulen, leicht erschien, erlebte die
Reine-Land-Schule einen großen Aufschwung. Bis um das Jahr 1000 hatte
sich die Rezitation von Buddha Amituos (jap. Amidas) Namen in den meisten chinesischen
und japanischen Mahāyāna-Schulen verbreitet und drang während
der chinesischen Ming-Dynastie (1368-1644) sogar in die chinesischen Chan-Schulen
ein. Im 12. Jh. begründete Hōnen (法然, 1133-1212) in Japan die eigentliche
Jōdo-Schule (Jōdo-shū) und baute sie zu einer großen
Organisation aus. Hōnens sektiererische Sichtweise, der von ihm vertretene
Weg sei der Höchste und in dieser Zeit des Verfalls auch der Einzige,
führte zu zahlreichen Konflikten mit anderen buddhistischen Schulen.
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Im 13. Jh. begründete Shinran (親鸞, 1173-1263), ein Schüler von Hōnen, in
Japan die Wahre-Reine-Land-Schule als eine reine Laiengemeinschaft.
Jedoch ist die Funktion des Oberhauptes des Schule erblich. Da die
Schichten von Gier, Haß und Unwissenheit des menschlichen Ich so massiv
sind, verwirft Shinran jede Ich-orientierte Praxis, selbst das nembutsu
seines Lehrers Hōnen und der Jōdo-Shū und empfiehlt als einzige Praxis
das Vertrauen in Buddha Amida, das für ihn eine Herzensöffnung
in den Mitgefühls-Aspekt des Dharmakaya darstellt. Wenn diese Öffnung
geschieht, dann kann die Stimme Amidas als ein Echo des Dharmakaya im
Herz-Geist des Menschen bewußt werden, und dieses Erleben von shinjin
(klarer Herz-Geist) ist das eigentliche Vertrauen und ist die
eigentliche Befreiung.
Shinran sagt: „Man sollte verstehen, daß die Essenz der Reinen-Land-Lehren ist,
daß wir in dem Augenblick in dem wir das wirkliche und echte shinjin erfahren,
wir im wahren Reinen Land geboren sind.“
Aus dieser Erfahrung folgten für Shinran eine große Bescheidenheit und
Dankbarkeit, und er verwarf auch deshalb alle religiösen Regeln, damit
seine Anhänger ohne trennende Schranken inmitten des einfachen Volkes
allen Wesen in der Teilhabe an Amidas mitfühlendem Wirken helfen konnten.
So wurde dieser leichteste Weg denn auch folgerichtig zur heute
größten Schule des Buddhismus in Japan.
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Die zahlreichen buddhistischen Tantra-Schulen werden zum Teil auch nach dem
Schwerpunkt ihrer Praxis als Mantrayāna, Vajrayāna,
Tantrayāna, Sahajayāna, etc., benannt.
Zunächst einmal sind sie von den hinduistischen Tantra-Schulen Indiens
zu unterscheiden. Voraussetzung im buddhistischen Tantra sind Zuflucht zu
Buddha, Dharma und Sangha, die Bodhisattva-Gelübde des Mahāyāna
und, implizit, die Philosophie der Mādhyamaka- und Yogāchāra-Schulen.
Historisch gesehen entstanden in Indien, von Bengalen und Assam in 2. Jh.
ausgehend bis etwa ins 8. Jh. hinein, kleine Meister-Schüler-Gruppen,
die eine Weiterentwicklung des vielfach in mönchischen Regeln und
scholastischem Denken erstarrten Mahāyāna-Buddhismus
begründeten. Die Träger dieser nichtmönchischen, nichtscholastischen,
tantrischen Schulen in den ersten Jahrhunderten waren
die Mahāsiddhas, praktizierende Yogis und Yoginīs, bis dann
Ausbreitung und gesellschaftliche Anerkennung im 8. Jh. dazu führten,
daß Tantra auch in die großen buddhistischen
Mönchsuniversitäten einzog. Das im 10. Jh. entstandene
Kālachakra-System versucht eine groß angelegte Synthese des ganzen
Kosmos - es besteht aus den Äußeren Lehren (Mathematik, Astronomie,
Astrologie), den Inneren Lehren (Physiologie, Medizin) und den Geheimen Lehren
(Meditation).
Grundlage der tantrischen Sicht und Praxis ist die Reinheit, die Ganzheit
und Heiligkeit aller Erscheinungen. Dabei stützt sich das Tantra, ebenso
wie auch die chinesischen Nirvāna-, Huayen- und Zen-Schulen, insbesondere
auf die allen Erscheinungen innewohnende und nicht bedingte Buddha-Natur
(tathāgatagarbha), wie sie die Yogāchāra-Sutren lehren.
Samsāra und Nirvāna sind hier also nur Bezeichnungen einer
nichtdualen, letzten Wirklichkeit, die sich allem konzeptuellen Sprechen
und Denken entzieht, die aber erfahren werden kann, da wir selbst diese
Wirklichkeit sind.
Folgerichtig bezieht Tantra daher alle Phänomene von Körper, Rede
und Geist ein und entwickelt Meditationsmethoden, die mit Hilfe von Mudrā,
Mantra und Visualisierung auf allen drei Ebenen eine gleichzeitige und sich
gegenseitig unterstützende Wirkung entfalten. Durch die vorurteilsfreiere
Anerkennung des Körpers und Untersuchung seiner Funktionen (Energiesysteme)
kommt es zur Adaption und Entwicklung von Yogasystemen, von medizinischen
Systemen und, erstmals im Buddhismus, zur einer Integration der Sexualität.
Mit dieser Entwicklung zwangsläufig verbunden ist eine sehr viel
größere Bedeutung der Frauen, sowohl als gleichberechtigte
Praktizierende, wie auch als große Meisterinnen.
Der tantrische Ansatz, alle Phänomene des Lebens in den Weg zu verwandeln
gilt allerdings als schwierig und gefahrvoll im Vergleich zu den allgemeinen
Mahāyāna-Lehren und von daher als ein Weg für nur wenige
Menschen. Deshalb setzt Tantra auch die direkte Führung eines Meisters
voraus, der jedem seiner Schüler individuell die geeigneten Lehren
mündlich (ins Ohr geflüstert) übermittelt (tib. lung) und
dazu in einer Einweihung (tib. wang) seinen Segen und seine Inspiration auf
den Schüler überträgt. Sind diese Bedingungen alle gegeben,
dann gilt Tantra als schnellster Weg zur Erleuchtung, d.h. Erleuchtung ist
noch in diesem Leben möglich.
In allen Tantra-Schulen findet sich eine vierfache Einteilung der Lehren
(Tantra-Klassen), entsprechend der geistigen Stufen der Schüler:
-
Kriyā-Tantra: Ritual-Praxis für Menschen, die Kulthandlungen und
Opfer für wichtig halten.
-
Charyā-Tantra: Ausübungs-Praxis für Menschen, die bereits
versuchen, ihr tägliches Leben nach dem Tantra-Weg auszurichten, aber
noch kein tieferes geistiges Verständnis besitzen.
-
Yoga-Tantra: Bemühungs-Praxis für Menschen, die sich ernsthaft
um ein tiefes spirituelles Verständnis bemühen.
-
Anuttarayoga-Tantra: Praxis der höchsten Vereinigung, in der der
Schüler den tiefsten Sinn des Tantra verwirklicht, entweder auf dem
Weg über die Form, z.B. Guhyasamāja-Tantra, oder auf dem formlosen
Weg, Mahā-Ati (tib. Dzogchen) und Mahāmudrā (tib.
Chagchen).
Hierbei bedeutet Höchste Vereinigung die Vereinigung aller Dualitäten
und den Durchbruch in konzeptfreies (nacktes) und strahlendes Gewahrsein.
Besonders häufig gebrauchte Beispiele sind die sexuelle Vereinigung
von Mann und Frau (tib. yab-yum), die Vereinigung von Methode und Weisheit
(upāya-prajñā) bzw. von Mitgefühl und Weisheit (karunā-prajñā).
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Diese Schule der Alten wurde im 8. Jh. von dem kaschmirischen Mahāsiddha
Padmasambhava und dem indischen Mönch Vimalamitra nach Tibet gebracht.
Die wichtigste Meditations-Praxis der Nyingmapas ist das Dzogchen (skrt.
Mahā-Ati), dessen Neukommentierung durch Longchenpa (1308-1363) als
autoritativ gilt. In der Nyingma-Schule waren sowohl Laien, als auch verheiratete
Lamas, Yogis, Yoginīs, Mönche und Nonnen vertreten.
Da Tantra sich durch ein sehr offenes und undogmatisches Verhältnis
zu der Anwendung geschickter Mittel (upāya) auszeichnet, hat Padmasambhava
in seine buddhistischen Lehren die in Tibet vorhandenen geistigen und
religiösen Strukturen, wie etwa die schamanistische Bön-Religion,
insoweit es sinnvoll erschien, integriert.
Während dieser ersten Ausbreitung des Buddhismus in Tibet erlangte eine
von Shāntirakshita und seinem Schüler Kamalashīla im 8. Jh.
vertretene Svatantrika-Mādhyamaka-Yogāchāra-Synthese
Geltung als Staatsdoktrin und in Tibet lehrende chinesische Chan-Mönche
mußten das Land verlassen.
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Nach der Zerstörung des Buddhismus in Tibet durch König Langdarma
im 9. Jh. wurde die Kadam-Schule (Schule der mündlichen Unterweisung)
von dem gelehrten indischen Mönch Atīsha (Dipamkara
Shrījñāna, 980-1055) in Tibet neu begründet. Atīsha
lehrte vornehmlich Mahāyāna-Lehren: die Geistes-Schulung (lo-jong),
die Meditations-Praxis des weiblichen Bodhisattva Tārā, die
Philosophie des Mādhyamaka und des Yogāchāra. Er lehrte
nicht die tantrischen Lehren des Mahāsiddha Saraha, obwohl er über
die Überlieferung verfügte. Dies geschah auf ausdrücklichen
Wunsch seines tibetischen Schülers Dromtön (1008-1064), der
befürchtete, die Moral der Tibeter könnte durch ein zu wörtliches
Verstehen von Sarahas Lehren Schaden nehmen.
Die Überlieferungen der Kadam-Schule flossen später in die Sakya-,
die Kagyü- und besonders in die Gelug-Schule ein.
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Das in Südtibet gelegene Kloster Sakya (Graue Erde) wurde im 11. Jh.
gemäß einer Prophezeiung von Atīsha gegründet. Diese
Schule widmete sich vornehmlich der Systematisierung der tantrischen Schriften
und Systeme und der Überlieferung eines Zyklus von Vajrayāna-Lehren
mit dem Namen Weg und Ziel (lamdre). Einer der bedeutendsten Lehrer dieser
Schule war Sakya Pandita (1182-1251) im 13. Jh., der alle weltlichen und
religiösen Wissenschaften seiner Zeit studierte. Sein Ruhm als Gelehrter
und Meister führte zu einer Einladung in die Mongolei durch einen Enkel
Chingis Khans, wo Sakya Pandita so erfolgreich war, daß seiner Schule
von den Mongolen die Herrschaft über Zentraltibet übertragen wurde.
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Die Kagyü-Schule (Schule der mündlichen Überlieferungslinie)
führt ihre Ursprünge auf die indischen Mahāsiddhas und
Mahāmudrā-Meister Saraha (9. Jh. ?, seine Lehren sind bekannt
als Sahajayāna), Maitripa (1007-?), Tilopa (988-1069) und Naropa
(1016-1100) zurück. Sie widmet sich daher vornehmlich der Praxis des
Mahāmudrā (tib. Chagchen), welche nach vorbereitender Übung von
Shamatha/Vipashyanā zu jenem Verweilen in heiter gelassenem Widerspiegeln
führt, wie es auch für die Caodong-Schule (jap. Sōtō-Schule) des Chan charakteristisch ist
(siehe z.B. Garma C. C. Chang, 1979).
Ein weiterer Schwerpunkt dieser Schule liegt in der Praxis der Naropa
zugeschriebenen Übungen des Naro Chödrug, der Sechs Yogas des Naropa:
-
Erzeugung innerer Hitze (tumo),
-
Erfahrung der Illusionshaftigkeit des eigenen Körpers (gyulü),
-
Traumyoga (milam),
-
Wahrnehmung des Klaren Lichtes (ösel),
-
Lehren über den Nachtodzustand (bardo),
-
Bewußtseinsübertragung von Sterbenden (phowa).
Diese Lehren, sowie viele weitere speziell tantrische Meditationsmethoden,
wurden von dem tibetischen Laien, Yogi und großen Übersetzer Marpa
(1012-1097) von Indien nach Tibet gebracht und dort von einem Schüler
Marpas, dem berühmten tibetischen Yogi Milarepa (1052-1135), intensiv
praktiziert. Ein Schüler von Milarepa, der tibetische Mönch Gampopa
(1079-1153), verband diese Lehren mit der Kadampa-Überlieferung und
begründete so die eigentliche Kagyü-Schule. Im Laufe der Zeit
entstanden vier größere und acht kleinere Unterschulen.
In jüngster Zeit hat sich ein Zweig der Kagyü-Schule, die Karma-Kagyü-Schule,
nochmals geteilt, da über die Wiedergeburt des 17. Karmapa kein Konsens
herbeigeführt werden konnte.
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Die Jonang-Schule selbst führt ihren Ursprung auf einen
Kālachakra-Meister des 12. Jh. aus Kashmir, Yumo Mikyo Dorje, zurück.
Anderen Quellen zufolge geht sie auf den indischen Mahasiddha Maitripa (1007-?)
zurück, der die Tradition der Mahasiddhas erneut mit der
Yogāchāra-Philosophie verknüpfte. Als die bedeutendsten
Lehrer dieser Schule gelten Dolpopa (1292-1361) und Taranatha (1575-1650).
Dolpopa entwickelte eine eigene Yogāchāra-Mādhyamaka-Synthese,
die er Großes Mādhyamaka nannte, wobei er den Aspekt der Buddha-Natur
(tathāgatagarbha) besonders betonte. Dabei stützte er sich
insbesondere auf das Sandhinirmocana-Sūtra und die Schriften und Kommentare
des Ratnagotravibhagha (in der tibetischen Tradition bekannt als
Mahāyāna-Uttara-Tantra-Sastra). Dolpopa unterscheidet dabei zwei
Arten der Leerheit:
-
die Leerheit aller Dinge (aller bedingten dharmas) von einem beständigen
Selbst - dies nennt er tib. Rangtong (leer von Selbst),
-
die Leerheit der in der Versenkung erfahrbaren Buddha-Natur (des
nicht-bedingten Nirvana) von allen bedingten Befleckungen - dies nennt er
tib. Shentong (leer von Anderem) - siehe S. K. Hookham, 1991.
Diese Sichtweise wurde geteilt und unterstützt von bedeutenden Lehrern
der Nyingma- und der Kagyü-Schule, wie etwa Longchenpa (1308-1363) und
Rangjung Dorje (3. Karmapa, 1284-1339).
Jedoch traf Dolpopa auch auf eine heftige Opposition von Seiten der Kadampas
(Buton) und Gelugpas (Gyaltsab und Ketrub, die beiden Hauptschüler von
Tsongkhapa), welche sehr strikt die Prāsangika-Mādhyamaka-Philosophie
vertraten und Dolpopa vorwarfen, die Vorstellung einer Buddha-Natur als
Absoluter Wirklichkeit sei nicht-buddhistisch. Lobsang Gyatso (1617-1682),
der 5. Dalai Lama der inzwischen sehr mächtigen Gelug-Schule, ließ nach dem
Tod von Taranatha sämtliche Schriften der Jonang-Schule konfiszieren
und die Klöster der Jonangpas gewaltsam der Gelug-Schule einverleiben.
Dennoch lebte die Jonang-Übertragungslinie in der Nyingma- und der
Kagyü-Schule weiter und gelangte besonders mit dem großen Gelehrten
und Initiator der Rime-Bewegung (der Nicht-Sektiererischen-Bewegung) Jamgon
Kongtrul Lodro Thaye (1813-1899) zu einer neuen, bis heute andauernden
Wirkungskraft.
Herrn Andreas Gruschke verdanke ich den Hinweis, daß
die Jonang-Schule in den abgelegenen osttibetischen Regionen Dzamthang
und dem Süden Amdos mit zahlreichen Klöstern bis zum heutigen
Tag überleben konnte - siehe
Andreas Gruschke: Der Jonang-Orden.
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Die Gelug-Schule (Schule der Tugendhaften) wurde von dem tibetischen gelehrten
Mönch Tsongkhapa (1357-1419) als eine Reformationsbewegung im tibetischen
Buddhismus gegründet. Tsongkhapa bestand auf einem präzisen Einhalten
der Disziplinregeln für Mönche und Nonnen (vinaya) und auf einer
umfassenden und gründlichen Schulung in den buddhistischen Lehren, deren
Meisterung für ihn durch Hören, kritisches Nachdenken und meditative
Verwirklichung geschieht.
Er baute auf den Lehrgebäuden der Sakya- und besonders der Kadampa-Schule
auf und unterzog den gesamten tibetischen Kanon (Kangyur = 92 Bände
buddhistischer Sūtren, Tengyur = 224 Bände buddhistischer Philosophie
und Kommentare) einer gründlichen Analyse, deren Ergebnisse 18 Bände
füllen. Seine beiden Hauptwerke sind: Lamrim Chenmo, Große Darlegung
der Stufen des Weges und Ngagrim Chenmo, Große Darlegung des Geheimen
Mantra. Wie die Kadampa-Lehrer vor ihm, vertrat er strikt die
Prāsangika-Mādhyamaka-Philosophie.
Die größten tibetischen Klöster Drepung, Ganden und Sera
gehen auf Tsongkhapas Wirken zurückk.
Unter dem 3. Dalai Lama Sönam Gyatso (16. Jh.) und besonders dem 5.
Dalai Lama Lobsang Gyatso (1617-1682) wurden die Gelugpas mit Hilfe der
mongolischen Herrscher zur politisch bestimmenden Macht in Tibet.
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Die Rime-Bewegung entstand historisch im 19. Jahrhundert in der osttibetischen
Provinz Kham und dehnte sich dann rasch über ganz Tibet aus. In ihr
haben sich eine ganze Anzahl bedeutender Lamas aus verschiedenen tibetischen
Traditionen zusammengefunden, um auf der Basis eines Nicht-Sektiererischen
(tib. rime) Verständnises die in Tibet weit verstreuten vielfältigen
tantrischen Überlieferungen zu sammeln, neu zu publizieren, zu kommentieren,
in der Meditation zu verwirklichen und an kommende Generationen weiterzugeben.
Ein erster wichtiger Vordenker dieser Bewegung war Situ Panchen (1700-1774).
Die umfangreiche Arbeit der Rime-Bewegung wurde von dem großen
Nyingma-Meister Jamyang Khyentse Wangpo (1820-1892) koordiniert und geleitet.
Einer der bedeutendsten Mitarbeiter war der Kagyü-Lama Jamgon Kongtrul
Lodro Thaye (1813-1899), der die Überlieferung von sechzig großen
Gurus aller tibetischer Traditionen hielt und über alle Bereiche der
traditionellen tibetischen Wissenschaften gearbeitet hat, einschließlich
Medizin, Astronomie, Geschichte und Literatur - seine Werke umfassen etwas
mehr als neunzig Bücher. Andere große Meister der Rime-Bewegung
waren z.B. Jigme Lingpa (1730-1798), Patrul (1808- ?), Mipham Gyatso (1846-1917)
und in unserem Jahrhundert Dilgo Khyentse (1910-1991).
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Im gleichen Maße jedoch, in dem in Tibet die großen
Mönchsklöster an Einfluß gewannen und die Überlieferung
des Tantra bestimmten, im gleichen Maß verloren Sexualität und
Frauen wieder ihre Bedeutung - dennoch gibt es bis heute sowohl in der
Nyingma-Schule, als auch außerhalb der etablierten tibetischen Schulen
eine lebendige, nichtmönchische Mahāsiddha-Tradition. Diese wird
getragen von umherwandernden Yogis und Yoginīs, die häufig die
auf den indischen Yogi Phadampa Sangye (gest. 1117) und seine Schülerin
Machig Labdrön (1055-1145) zurückgehende Chöd-Meditation
(Durchschneiden der Ich-Anhaftung) praktizieren (siehe z.B. Tsültrim
Allione, 1986).
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Unter dem Namen Mizong (Mi-tsung, jap. Misshū), Esoterische Schule, wurden in
China eine Vielfalt verschiedener Vajrayāna-Lehren zusammengefaßt. Zunächst entstanden in
China im 8. Jh. aufgrund des Wirkens von drei bedeutenden indischen Meistern zwei
tantrische Überlieferungslinien. Die eine Linie geht auf Śubhakarasiṃha (善無畏,
Shanwuwei, Shan Wu-wei, 637-735) zurück, die andere auf Vajrabodhi (金剛智, Jingang zhi,
Chin-kang-chih, 671–741 und seinen Schüler Amoghavajra (不空, chin. Bukung, Pu-k'ung,
705-774). Diese beiden Linien bildeten in China eine größere Schule, die als
Zhenyan-Schule (Chen-yen, jap. Shingon), Schule des Wahren Wortes, d.h. als
Mantra-Schule, bzw. als Mijiao-Schule (Mi-chiao, jap.
Mikkyō), Schule der Geheimnisse, bekannt wurde.
Śubhākarasimha kam 716 in China an und übersetzte das Mahāvairocana Sūtra,
Vajrabodhi und Amoghavajra erreichten China 720 und fertigten zwei Teilübersetzungen des
Sarvatathāgatatattva-samgrāha Sūtra an. Vom Vajraśekhara Sūtra gibt es drei
chinesische Übersetzungen, davon jeweils eine von Vajrabodhi und Amoghavajra.
Diese Sutras sind deshalb in der Zhenyan-Schule und der späteren japanischen
Shingon-Schule so bedeutsam, weil hier die Basis für die zentrale Meditations- und
Ritual-Praxis des Vajradhātu-Mandala (Quelle: Vajraśekhara-Sūtra) und des
Garbhakosadhātu-Mandala (Quelle: Mahāvairocana Sūtra) gelegt werden.
Beide Mandalas haben die Fünf-Weisheits-Buddhas (im Westen heute auch als Dhyani-Buddhas
bekannt) mit Vairocana im Zentrum zum Thema.
In der Yüan-Dynastie (1279-1368) förderten die mongolischen Herrscher besonders das
tibetische Vajrayana und viele tibetische und mongolische Lamas wurden zum Lehren nach
China eingeladen. Auch in der Qing-Zeit (1644-1911) hatte das tibetische Vajrayana am
Kaiserhof und in dessen Umgebung bedeutenden Einfluß.
Im Jahr 804 reisten die beiden japanischen Mönche Kūkai (空海, 774-835) und Saichō (最澄,
767-822) mit einer Regierungsdelegation nach China.
Kūkai (posthum Kōbō Daishi, 弘法大師) wurde in China ein Schüler des chinesischen Meisters
Huiguo (惠果, Hui-kuo, 746-806, ein Schüler von Amoghavajra) und brachte die Lehren dieser
Übertragungslinie unter dem Namen Shingon-Schule nach Japan. Im Jahr 816 errichtete er
auf dem Berg Kōya-san sein wichtigstes Shingon-Kloster. Die Shingon-Schule wurde
in der Heian-Zeit zu einer der größten buddhistischen Schulen Japans. Dazu mag
beigetragen haben, daß Kūkai shintoistische Gottheiten als Bodhisattvas in den Buddhismus
integrierte und bedeutende Abhandlungen über Taoismus, Konfuzianismus und Buddhismus
schrieb. Außerdem gründete er eine Schule für Kunst und Wissenschaft, die allen Menschen
offenstand und arbeitete auch als berühmter Maler, Bildschnitzer und Ingenieur.
Saichō (posthum Dengyō Daishi, 伝教大師), studierte Tiantai (T'ien-t'ai, jap. Tendai, siehe
auch Kapitel 3.2) unter Meister Daosui (道邃 ,Tao-sui), Chan unter Meister Xiaoran (翛然,
Hsiao-jan) und Vajrayāna- (Zhenyan-, Chen-yen, jap. Shingon-) Lehren unter Meister
Shunxiao (順曉, Shun-hsia, ein Schüler von Śubhākarasimha). Zurückgekehrt nach Japan
widmete sich Saichō vornehmlich der Weitergabe der Tendai-Lehren und der Praxis von
Shamatha/Vipashyanā (Zhiguan, Chih-kuan, jap. Shikan), bezog aber Vajrayāna-Lehren unter
dem Namen Mikkyō in seine Lehrtätigkeit mit ein. Er gründete ein großes Kloster auf dem
Berg Hiei-san und etablierte dort zwei Studienzentren, eines für Studien zum
Lotos-Sutra und eines für Studien zum Vajrayana.
Besonders Saichōs Nachfolger Enchō (円澄, 735-843) und Ennin (圓仁, 794-864), der sechs
Jahre in China und davon einige Jahre bei tantrischen Meistern verbrachte, betonten die
Vajrayana-Lehren in der Tendai-Schule. Ennin nannte diese Tendai-Mikkyō Lehren
Taimitsu.
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