Koans und Kinderfragenvon Judith StronachJUDITH STRONACH lebt und schreibt in Berkeley, Kalifornien. Sie arbeitet mit bei der Zeitschrift 'Inquiring Mind' der 'Vipassana Community', unter anderem als Guest Poetry Editor.
©opyright Essay von J. Stronach:
Das hier vorgelegte kleine Essay von Judith Stronach erschien auf Englisch
in der Kolumne "Poems & Not Poems" in 'Inquiring Mind 2/1994' S. 22-23,
der zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift der 'Vipassana
Community': |
Koans und KinderfragenvonJudith StronachEin Kind fragt, "Warum ist der Himmel blau?", und ich merke, daß ich keine Idee habe. In dem Raum der Erfahrung "keine Idee" öffnen sich Wunder: Himmel, Blau, Blauer Himmel, Horizont, was liegt auf dieser Seite davon, was auf jener. Koans werden ersonnen, um uns von unserem gewöhnlichen Geist zu diesem "Weiß-Nicht-Geist" ("Don't-Know Mind") zu bringen und zu der Freude, ein Mysterium zu sein innerhalb eines Mysteriums. Westliche Praktizierende des Buddhismus wenden sich üblicherweise auf der Suche nach ihren Koans asiatischen Quellen zu. Aber auch Kulturen näher an unserer Heimat können helfen, uns vom Anhaften an dem Bekannten zu befreien. Eine solche Quelle der Inspiration ist "Das Buch der Fragen" ("El libro de las preguntas"), welches der chilenische Dichter Pablo Neruda wenige Monate vor seinem Tod fertigstellte (Übersetzung ins Amerikanische durch William O'Daly, The Book of Questions, 1991, Copper Canyon Press). Das Buch enthält 74 kurze Gedichte, aufgebaut aus Zweizeilern, welche 316 verwirrende Fragen aufwerfen. Wie Koans befreien sie uns von der Verführung erdachter Lösungen. Unser rationaler Geist vermag die Oberfläche dieser Fragen nicht zu durchdringen, aber wenn wir uns den Bildern überlassen, können wir hinab kommen zu einem unsichtbaren Platz. Zitronen und Granatäpfel, Tauben und Kondore verweisen auf etwas jenseits ihrer selbst, und Neruda schaut auf sie mit einem Herz-Geist, ausgeglichen in der höchsten Gleichzeitigkeit von Form und Leerheit. Aus dieser Balance destilliert er seine Bildkraft in Fragen, die uns einladen, nicht nur die Unendlichkeit in einem Sandkorn zu sehen, sondern auch das Sandkorn in der Unendlichkeit. XXXV
Wird unser Leben nicht ein Tunnel sein
Oder wird es nicht eine Klarheit sein
Oder wird Leben nicht ein Fisch sein
Wird Tod bestehen aus Nicht-Sein XXXVI
Am Ende, wird nicht der Tod
Was werden deine auseinander gefallenen Knochen tun,
Wird deine Auflösung verschmelzen
Werden deine Würmer Teil werden ----------- Das Folgende sind vermischte Verse aus einer Vielzahl von Gedichten: *
Sag mir, ist die Rose nackt *
Warum verbergen Bäume *
Wieviele Bienen gibt es wohl *
Ist Friede der Friede einer Taube? *
Ist die Sonne die Gleiche wie die Gestrige *
Wie teilen die Orangen *
Wo ist die Mitte des Ozeans? *
Wieviele Wochen sind in einem Tag *
Wen kann ich fragen, was zu vollbringen *
Warum bewege ich mich, ohne es zu wollen *
Wie lange besteht ein Nashorn *
Was hat der Baum von der Erde gelernt *
Wer war sie, die dich geliebt hat *
Und der Vater, der in deinen Träumen lebt *
Und welches ist der Name des Monats *
Woran hängt der Kolibri *
Warum fragen mich die Wellen *
Wer kann das Meer überzeugen *
Wer befahl mir niederzureißen *
Lernen wir Freundlichkeit *
Wann liest der Schmetterling *
Wenn alle Flüsse süß sind * Viele von Nerudas Fragen sind so zum Verrücktwerden unbeantwortbar wie die Fragen eines Kindes: "Wohin zieht sich der Schatten zurück?" "Und warum sollten Blätter grün sein?" Warum sind die Fragen eines Kindes so zum verrückt-werden? Ich glaube, weil sie uns enthüllen, daß wir nicht wissen und wir gerne vorgeben, wir wüßten. Die Frage eines Kindes erinnert uns an die Zeit, als wir auf die Welt mit Staunen geblickt haben, und das Staunen bildete sich aus der Unlösbarkeit unserer Fragen. Neruda sagt: "Was wir wissen ist so wenig, und was wir an-nehmen so viel." Nachdem ich Neruda´s Fragen gelesen hatte, schien es mir, daß Kinder eine weitere Quelle von Koans aus unserer eigenen Kultur sein könnten. So befragte ich Iris, die fünfjährige Tochter eines Freundes. Es war ein merkwürdiges Interview, da die Antworten die ich suchte, Fragen waren. Hier sind ein einige: Wie kommen da die Samen her? Wie kommt da der Schmutz her? Warum fallen Blätter? Warum wird es kalt? Wie wird Glas brüchig? Warum beißen Würmer in Äpfel? Warum kommen Wellen aus dem Ozean? Warum haben sie keinen Weg gefunden, Warum ist Großvater gestorben? Wie wird Sonnenlicht gemacht? Wie wird Dunkelheit gemacht? Wie kommen Tränen, wenn du traurig bist? Bei einem anderen Besuch saß ich bei diesem Kind während der schwierigen Zeit des Einschlafens. Fragen über die Welt und Gott hatten sie an diesem Abend aufgewühlt. Jede neue Frage bot weniger und weniger Befriedigung. Ihre Angst erreichte einen Gipfel und sie faltete ihre Arme über ihrer Brust, um in Schweigen nachzudenken. Dann sagte sie, "Wer hat die Welt gemacht? Wie ist da die erste Person hergekommen? Das ist eine wirklich schwere Frage. Aber nicht die schwerste." Mehr Schweigen. "Jetzt hab ich's! Wie ist da das allererste Ding hergekommen? Schau, jetzt hab ich die Frage." Und prompt schlief sie ein, nicht mit der endgültigen Antwort, aber mit dem endgültigen Rätsel. Ihre Frage brachte sie einen Schritt näher an jenen wahren Grund des Seins, wo keine Antworten möglich sind, und der Geist muß sein 'unfähig-zu-wissen' akzeptieren. Der Geist, der dieses Nicht-Wissen annimmt, ist in Frieden. |
Zurück / Startseite |