Der chinesische Chan-Meister Hongzhi Zhengjue (宏智正覺,
jap. Wanshi Shōgaku, 1091-1157) ist einer der bedeutendsten Meister
der Caodong-Chan-Tradition (曹洞宗, jap. Sōtō-Tradition). Im Jahr 1129 nahm
Hongzhi eine Einladung an, im Jingde-Kloster auf dem Tiantong-Berg in der
Provinz Ming (dem heutigen Zhejiang) zu lehren. Als Hongzhi dort ankam,
war das Jingde-Kloster klein und baufällig. Unter Hongzhis Leitung
wurde der Tempel wiederaufgebaut und beherbergte schließlich zwölfhundert
Mönche. Hongzhi war umfassend gebildet und vertraut mit der
buddhistischen und allgemeinen chinesischen Überlieferung. Davon
zeugt etwa die Zusammenstellung und Kommentierung alter Gōng-àn
(jap. Kōan, Zen-Dialoge) in seinem Buch Aufzeichnungen aus der
Klause der Gelassenheit (Congrong Lu, jap. Shōyōroku) -
siehe etwa die schöne Übersetzung und Kommentierung von
Dietrich Roloff,
(Windpferd-Verlag, 2008).
In seinen Belehrungen und Gedichten legte Hongzhi den Schwerpunkt auf
die Erläuterung der Meditation des heiter gelassenen Widerspiegelns,
oder auch schweigende Erleuchtung genannt (默照禪, mò zhào chán,
jap. moku shō zen, engl. serene/silent reflection contemplation).
Im Herbst 1157 verließ Hongzhi zum ersten Mal seit fast dreißig Jahren
den Tiantong-Berg für eine Reise. Er besuchte örtliche militärische
Kommandeure, staatliche Beamte und Laienförderer, um sich zu verabschieden
und ihnen für ihre Unterstützung zu danken. Am 10. November kehrte er
zum Jingde Tempel zurück. Am nächsten Morgen badete er, zog frische
Roben an und ging in die Dharmahalle, wo er für seine Mönche eine
Abschiedsrede hielt. Er bat den ihm aufwartenden Mönch um einen Pinsel
und schrieb einen Brief an seinen Kollegen und gelegentlichen Kritiker,
den Chan-Lehrer Dahui Zonggao (1089-1163), worin er ihn bat, die
Verantwortung für den Jingde Tempel zu übernehmen.
Dann schrieb Hongzhi:
Träume der Illusionen, Blumen der Fantasie -
Siebenundsechzig Jahre.
Ein weißer Vogel verschwindet im Nebel,
Die Wasser des Herbstes verschmelzen mit dem Himmel.
Dann schied er, in der formalen Meditationshaltung sitzend, aus diesem
Leben.
„Leer und wunschlos, kalt und kahl, schlicht und wahrhaftig,
dies ist die Weise, wie wir die verbliebenen Gewohnheiten
vieler Leben überwinden und zusammenfalten können.
Wenn die Befleckungen alter Gewohnheiten erschöpft sind, erscheint
das ursprüngliche Licht, strahlt auf in deinem Schädel, ohne
daß noch etwas anderes daneben wäre. Weit und geräumig,
gleichwie im Herbst Himmel und Wasser verschmelzen, gleichwie
Schnee und Mond dieselbe Farbe zeigen, so ist dieses Feld ohne
Grenze, jenseits jeder Richtung, eine strahlende Einheit ohne
Ecke und Naht. Und wenn du dich dann nach innen wendest und
alles vollkommen losläßt, ereignet sich die Verwirklichung.
Genau in diesem Augenblick der völligen Loslösung sind alle
Überlegungen und inneren Dialoge tausend oder gar zehntausend
Meilen entfernt. Und doch ist kein Prinzip erkennbar, worauf
könnte man also zeigen, oder was erklären? Menschen, denen der
Boden aus dem Eimer gefallen ist, finden vollkommenes Vertrauen.
Daher werden wir gelehrt, einfach die wechselseitige Bedingtheit
zu erkennen und zu erforschen, und schließlich uns wieder umzudrehen
und in die Welt zu gehen. Wandere dahin und spiele in Samādhi.
Jedes Detail erscheint völlig klar vor dir. Klang und Form, Echo
und Schatten erscheinen augenblicklich und ohne Spuren zu
hinterlassen.“
Hongzhi, Praxisanweisungen.
Schweigend und heiter gelassen, alle Worte vergessen,
erscheint die strahlende Klarheit vor dir.
Wenn du es widerspiegelst, wirst du weit ohne Grenzen,
wo du es verkörperst, wirst du geistig emporgehoben.
Geistig zurückgezogen und strahlend
bringt die innere Erleuchtung die Wunder zurück,
Tau im Mondlicht, ein Sternenstrom,
schneebedeckte Föhren, die Wolken um den Berggipfel.
Hongzhi, Hinweis zur Schweigenden Erleuchtung.
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Hier noch ein kleines privates Nachwort als ein Beispiel für 'bedingtes Entstehen'
(paṭiccasamuppāda) dieses Buches in deutscher Sprache.
Zu Beginn der 1980'er Jahre habe ich in der Karma Kagyu Schule unter dem verehrten
Lama Kyabje Chime Rinpoche
die Meditation von
Mahamudra kennen gelernt und
lieben gelernt. Im Zuge meiner Mahamudra-Studien habe ich das kleine Büchlein von
Garma C.C. Chang mit dem Titel Mahamudra-Fibel (Octopus Verlag, Wien, 1979) entdeckt,
das sich für mich als sehr hilfreich erwiesen hat. Chang zitiert hier die bekannten wichtigen
Lehrgedichte zu Mahamudra von Tilopa, Naropa, Maitripa und Milarepa, zusammen mit bedeutsamen
Hinweisen seines tibetischen Lehrers Gangkar Rinpoche (Lama Kong Ka).
Gleichzeitig weist Chang aber auch auf die enge innere Verbindung von Mahamudra zum chinesischen
Chan in der Form der Meditation des 'mò zhào chán' (默照禪), des 'heiter-gelassenen Widerspiegelns',
hin und zitiert dazu Auszüge des bedeutenden Lehrgedichtes von Chan-Meister Hongzhi Zhengjue
(宏智正覺, jap. Wanshi Shōgaku, 1091-1157) mit dem Titel 'Anmerkungen zum heiter gelassenen
Widerspiegeln' (S. 25-26). Ich habe dieses Gedichtzeilen wieder und wieder gelesen und kontempliert
und verspürte schon damals den Wunsch, mehr von Chan-Meister Hongzhi lesen und lernen zu dürfen.
Wie groß war daher meine Freude, als ich Anfang der 2000'er Jahre in der Email-Liste internationaler
Buddhologen 'h-buddhism' auf die Hongzhi-Übersetzung von Taigen Dan Leighton aufmerksam wurde.
Zunächst ging meine Übersetzung zügig und freudvoll voran, doch dann begann 2007 für mich eine
Krankheit mit einer sehr schweren Fatigue. So konnte ich nur noch sehr, sehr langsam an der
Hongzhi-Übertragung arbeiten, aber das Wort des Ehrwürdigen
Maha Ghosananda
"Langsam, langsam, Schritt für Schritt, jeder Schritt ist ein Gebet"
war mir eine große Inspiration und Hilfe dieses Projekt zu vollenden. Schön an dieser Arbeit war
auch, daß Taigen Dan Leighton mich sehr freundlich unterstützt hat und immer offen für meine vielen
Fragen war.
Und schließlich war ich sehr dankbar darüber, daß ich in Werner Kristkeitz einen verständnisvollen
und mich aktiv unterstützenden Verleger gefunden hatte und wir das Buch im Jahr 2009 veröffentlichen
konnten.
Aber, alle Dinge sind vergänglich - und so war vor einigen Jahren die Auflage ausverkauft und eine
Neuauflage im Verlag Kritzkeitz nicht realisierbar. Auch fand ich keinen andereren Verlag für das
Hongzhi-Manuskript. Nun gibt es aber in diesem Hongzhi-Buch zwei Gedichte von Chan-Meister Shitou
und zwei Gedichte von Chan-Meister Hongzhi, die mir sehr wichtig für ernsthaft Übende des Chan/Zen
erscheinen und die ich gerne allen Interessierten zur Verfügung stellen wollte. Also habe ich mich
ein wenig mit der Suchfunktion des buddhistischen Kanons
Taishō Shinshū Daizōkyō im Internet
vertraut gemacht, dort die gesuchten Gedichte gefunden und diese direkt aus dem Chinesischen
übersetzt:
Und zu guter letzt hat sich mit Ursula Kogetsu Richard eine Verlegerin gefunden, die sowohl eine
langjährige Verlegerin buddhistischer Literatur, als auch selbst eine langjährige Zen-Praktizierende
ist und nun eine wunderbare Neuauflage der Übersetzung von Taigen Dan Leightons schönem Hongzhi-Buch
realisiert hat.
Dafür bin ich zutiefst dankbar!
Meine große Dankbarkeit gilt aber nicht zuletzt auch
Prof. Chengji Zhang (1920-1988).
Sein Name schreibt sich in der Wade-Giles phonetischen Umschrift: Ch'eng-chi Chang.
Es handelt sich also um den Autor Garma C.C. Chang der oben beschriebenen Mahamudra-Fibel.
Prof. Zhang war ein bedeutender buddhistischer Gelehrter und er war als Philosoph ein Spezialist der
buddhistischen Huayen-Philosophie, wie sie im Avatamsaka-Sutra überliefert ist.
Er lebte und lehrte seit 1950 an US-amerikanischen Hochschulen. Es ist mir gelungen
Kontakt mit der Familie Zhang in den USA aufzunehmen und mit ihrer Unterstützung einen würdigenden
Beitrag über Prof. Zhang zu verfassen und in der deutschen und in der englischen Wikipedia zu
publizieren. Mit einer tiefen Verbeugung und in Dankbarkeit - m.b.s.
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