Das Lied vom Kostbaren Spiegel-Samadhi寶鏡三昧歌
Băojìng Sānmèigē
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Kontext:
Der Chán-Meister Dòngshān Liángjìa (jap. Tōzan Ryōkai), 807-869, gilt als der Gründer der Cáodòng-Chán-Schule (jap. Sōtō-Zen-Schule). Sein Schüler Cáoshān Běnjì (jap. Sôzan Honjaku), 840-901, hat die Lehren und Gedichte seines Meister in dem Text 'Die Aufzeichnungen von Dòngshān' (Dòngshān Lù) gesammelt und herausgegeben. Alle späteren Sammlungen, in denen Dòngshān erwähnt wird, beziehen sich auf Cáoshān's 'Die Aufzeichnungen von Dòngshān', insbesondere die Beispiele in:
Eine neuere und umfangreichere Zusammenstellung mit dem Titel 'Die Aufzeichnungen der Worte von Chán-Meister Dòngshān Liángjìa' (Dòngshān Liángjìa Chánshi Yìlù) stammt von dem buddhistischen Mönch Yuanxin (1571-1646). Das hier folgende 'Lied vom Kostbaren Spiegel-Samadhi' (Băojìng Sānmèigē) schenkte Meister Dòngshān seinem Schüler Cáoshān bei dessen Abschied und wurde von diesem überliefert. |
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Anmerkungen: Zeile 3: 'Schnee' und 'Reiher' stehen für Form, 'silberne Schale' und Mond für Leerheit = Soheit. Zeile 14: die '5 Aspekte' sind die 5 Skandhas (Körper/Form, Empfindung, Wahrnehmung, geistig-psychische Reaktion, Bewußtsein. So, wie ein Säugling schon von der Geburt an alle 5 Skandhas mitbringt, so sind wir alle bereits von Geburt an mit der Buddha-Natur ausgestattet. Zeile 18: das Hexagramm 30 des I-Ging (Yì jīng, 易经 / 易經 ) ist lí ( 離 ) = "Feuer" und enthält oben und unten das gleiche das Trigramm lí ( 離 ) = frei von / losgelöst / strahlend : ☲+☲ . Shindo Gensho zitiert in seinem Kommentar, siehe [HG], Lu K'uan Yu (Charles Luk) mit der Aussage, daß dieses Hexagramm lí im Chan oft für 'Wirklichkeit' steht, für die 'absolute Ebene', im chinesischen oft auch 'Essenz' oder 'Prinzip' genannt. Im Gegensatz und in Ergänzung dazu steht das Hexagramm 61 des I-Ging, zhōng fú ( 中孚 ) = innere Wahrheit, und dieses enthält oben das Trigramm xùn ( 巽 ) = der Wind / das Sanfte / das Nachgiebige / in Übereinstimmung sein, und unten das Trigramm dùi ( 兌 ) = das Offene / das Heitere / der See: ☴+☱ , Wiederum nach Lu K'uan Yu steht dieses Zeichen im Chan häufig für die 'relative Ebene', im chinesischen oft auch 'Funktion' oder 'Praxis' genannt. Zeile 19: Aus lí ( 離 ): ☲ , frei von / losgelöst / strahlend, und aus xùn ( 巽 ): ☴ , der Wind / das Sanfte / das Nachgiebige / in Übereinstimmung sein und aus dùi ( 兌 ) = das Offene / das Heitere / der See: ☱ , lassen sich die fünf 'Standorte' oder 'Ordnungen' (wŭwèi, 五位 , jap. go-i) von Meister Dòngshān Liángjìa zusammensetzen: "mitten aus dem Richtigen kommend" (Hausherr) ☴ ; "mitten ins Einseitige hineingegangen" (Gast) ☱ ; "mitten im Richtigen das Einseitige" (Hausherr kommt ins Licht) ☱+☴ ; "mitten im Einseitigen das Richtige" (Gast kehrt zurück zum Hausherrn) ☴+☱ ; "in der Verbindung beider angelangt" (Hausherr im Hausherrn) ☲+☲ . Zeile 21: Das 'Trommeln und Singen' steht für die innige wechselseitige Verbundenheit zwischen Lehrer und Schüler ebenso wie für die Beziehung zwischen Form und Leere. Zeile 37: Dieses Bild interpretieren und übersetzen [NST] und [NST-B] mit: "wie ein Tiger, der seine Beute nicht restlos verschlingt, wie ein Pferd, dem das linke Hufeisen fehlt." Zeile 39: Unsere Vorlage [SSS] liest für 狸 = lí = Katze, während [HG] hier Waschbär vorschlägt. Zeile 41: [HG] liest: wozu braucht es dann noch Geschicklichkeit und Kraft? (d.h. nach dem Erwachen). Zeile 42: Der 'hölzerne Mann' steht wiederum für die Form, die 'relative Ebene', das 'steinerne Mädchen' (bzw. die 'Jadefrau') für die Soheit, die 'absolute Ebene'. Stein und Holz tauchen in Chan-Texten häufig in einem Zusammenhang mit der Beruhigung der Geistesaktivität auf: so zitiert Baizhang Huaihai (720-814, also zeitlich vor Dongshan) an einer Stelle Bodhidharma mit den Worten: "Der Geist sollte (frei von Gedanken und Empfindungen) sein wie Holz und Stein." (siehe: Zen Quotations, Zen Sayings.) |
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Eine kleine Einführung in das Leben von Meister Dongshan,
Der Chan-Meister Dongshan Liangjia (jap. Tōzan Ryōkai), 807-869, gilt als der Gründer der
Caodong-Chan-Schule (jap. Sōtō-Zen-Schule). Der spätere Mönch Liangjia wurde bereits mit
sechs Jahren von seiner frommen Mutter zur Ausbildung einem örtlichen buddhistischen Mönch der
Vinaya-Schule zur Erziehung übergeben. Dieser erkannte die außergewöhnliche Begabung und Tiefe
des jungen Novizen und brachte ihn nach einiger Zeit mit dem Einverständnis der Eltern zu dem
angesehenen Chan-Meister Ling-mo (746-818), einem Schüler der berühmten Chan-Meister Mazu und
Shitou. Der ernste und gütige Meister Ling-mo beeindruckte den jungen Novizen so sehr, daß dieser
sich mit 21 Jahren zum Mönchsleben entschloß. Danach wanderte Liangjia viele Jahre durch ganz
China und besuchte viele Chan-Meister seiner Zeit, darunter Nanquan Puyuan, Guishan Lingyou
(Weshan Lingyou) und schließlich Yunyan Tansheng, dessen enger Schüler er wurde. Eindrücklich ist auch das Gespräch zwischen Lehrer und Schüler beim Abschied von Liangjia (Quelle: Dumoulin, H.: Geschichte des Zen-Buddhismus, Band I und Denkõ-roku, hier leicht modifiziert):
Als Liangjia kurz darauf auf seiner Wanderung durch einen Fluß watete und sein Spiegelbild im Wasser erblickte, erlebte er ein noch tieferes Erwachen und beschrieb diese Erfahrung in seinem berühmten Findelied (Quelle: Denkõ-roku, hier leicht modifiziert):
Liangjia wanderte dann noch fast zwanzig Jahre durch ganz Südchina, insbesondere durch die Provinzen
um den Jangtse-Fluß, bevor er als Abt zunächst im Xinfengshan Kloster und später noch neun Jahre
im Dongshan Kloster lehrte. Er war ein ruhiger und doch kraftvoller Lehrer, der seine Schüler
in die Stille führte und mit wenigen, tiefen Worten auf dem Weg anleitete.
Ein zentrales Thema in Dongshans Leben und Lehren war die Wechselwirkung zwischen der 'absoluten'
und der 'relativen' Ebene der Wirklichkeit und ihre letztliche Einheit. Diese Frage zieht sich
durch sämtliche Praxis-Methoden und philosophischen Reflektionen des Mahayana-Buddhismus.
Nagarjuna spricht von der Einheit von 'Nirvana' und 'Samsara', der Daoismus und der frühe chinesische
Buddhismus orientieren sich an den Begriffen 'Essenz' (tĭ, 體 , wörtl. Körper, Form, System) und
'Funktion' (yòng, 用 , wörtl. Gebrauch, Anwendung) und die buddhistische Huayen-Schule verwendet
als einen Schlüsselsatz 'lĭ shì wú ài' ( 理 事 毋 礙 ), 'Prinzip und Erscheinungen behindern einander
nicht', oder 'zwischen Prinzip und Erscheinung gibt es keine Grenze' - mit 'Prinzip' (lĭ, 理 ) und
'Erscheinung, Ding' (shì, 事 ).
Bodhidharma lehrt die beiden Zugänge zum Weg (dào, 道 ) über das 'Prinzip' (lĭ, 理 ) und die
'Praxis (Verhalten/Ethik)' (xìng, 行 ) und Dongshan schließlich spricht von
'gerade/aufrecht/richtig/Prinzip' (zhèng, 正 ) und gekrümmt/sich neigend/einseitig (piān, 偏 ). Ein wichtiges Ergebnis in C.G. Jungs Untersuchungen des menschlichen Geistes ist der Hinweis auf den 'Schatten' in unserem Geist, auf die dunklen und verdrängten Geistesformationen, die sich sowohl individuell als auch kollektiv manifestieren können. Ein sehr trauriges Ereignis im Leben von Dongshan mag uns Anlaß bieten, unseren persönlichen 'Schatten' und vielleicht auch einen kollektiven 'Schatten' der Chan-/Zen-Tradition (oder anderer buddhistischer Traditionen) etwas tiefer zu reflektieren. Die folgende Geschichte stammt aus dem Denkõroku. Dongshan hatte als junger Mönch ein Gelübde der Entsagung abgelegt, sein Elternhaus und seine nahen Verwandten nicht mehr zu sehen. Als Jahrzehnte später Dongshans Mutter alt und krank wurde und gezwungen war, sich ihr Essen als heimatlose Bettlerin auf der Straße zu erbitten (wie viele alte Frauen in dieser Zeit), suchte sie lange nach ihrem geliebten Sohn und fand diesen schließlich als berühmten Abt im Kloster auf dem Dongshan. Meister Dongshan verweigerte jedoch strikt eine Begegnung mit seiner Mutter und schloß sich in seinem Zimmer ein. Schließlich starb seine Mutter an gebrochenem Herzen vor Dongshans Tür. Nach ihrem Tod kam Dongshan wieder aus seinem Zimmer heraus, fand in den Habseligkeiten der Mutter etwas erbettelten Reis, welchen er seinen Mönchen am nächsten Morgen als eine Opfergabe seiner Mutter in den Morgenbrei mischte, um der Mutter eine gute Wiedergeburt zu ermöglichen. Kurze Zeit darauf hatte Dongshan einen Traum, daß seine Mutter im Tryastrimsha-Himmel wiedergeboren sei.
Bei Geschichten wie diesen denke ich manchmal, daß die Chan-/Zen-Übenden vielleicht doch gut daran
täten, nicht nur die meditative Versenkung zu vertiefen und von der Einheit der 'absoluten' und der
'relativen' Ebene der Wirklichkeit zu reden, sondern vielleicht auch der Entwicklung von 'Liebender
Güte' (Metta) und 'Mitgefühl' (Karuna) mehr Aufmerksamkeit schenken könnten, so wie der Buddha dies
ja allen Menschen wieder und wieder empfohlen hatte. Als Nachklang sei ein ganz gegensätzliches Beispiel aus der japanischen Sōtō-Zen-Schule angeführt, die Geschichte vom Mönch Shoun und seiner Mutter (Quelle: Paul Reps (und Nyogen Senzaki Roshi), Ohne Worte, ohne Schweigen - hier leicht gekürzt):
Doch zurück zu Meister Dongshan Liangjia, der einer der einflußreichsten Chan-Meister seiner Zeit war.
Dongshan engagierte sich sehr für die Ausbildung aller seiner Schüler, sei es im direkten Gespräch,
sei es in der Anleitung und Begleitung der Meditation des 'Heiter-gelassenen Widerspiegelns'
(engl. 'serene/silent reflection/illumination', chin. 默照 , mò zhào, jap. moku shō). Da Dongshan
selbst in seinem Leben immer ein sehr freier und unabhängiger Geist war, betonte er auch in seinem
Lehren die Elemente der Freiheit und Selbstverantwortung. Viele Schüler kamen aus ganz China und
schlossen sich ihm an und die alten Chroniken nennen sechsundzwanzig seiner Schüler als erwachte
Dharmanachfolger. An einem Tag im Jahr 869 ließ sich Dongshan den Kopf rasieren, zog sein Abtsgewand an, ließ die große Glocke anschlagen, nahm vor der Versammlung seiner vielen Schüler Abschied und verhüllte auf seinem Sitz das Haupt als Zeichen, daß er jetzt sterben wolle. Viele Schüler brachen in lautes Weinen und Schluchzen aus. Da schlug Dongshan die Verhüllung wieder auf und sagte:
Darauf ordnete Dongshan ein siebentägiges 'Trauer-Retreat' an und erließ die Regel, daß künftig beim
Abschied eines Meisters derartiger Aufruhr und Lärm verboten seien. Am Morgen des achten Tages nahm
Dongshan noch ein Bad, setzte sich still hin zur Versenkung und war alsbald verschieden. |
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Quellen:
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Dies wurde übersetzt und geschrieben im Frühjahr 2007, in einer Zeit zwischen schweren Erkrankungen und äußerst belastenden medizinischen Behandlungen, die gelegentlich an die Grenze von Leben und Tod führten. So habe ich diese Arbeit in erster Linie durchgeführt, um meinem Herzen eine Freude zu bereiten und mich vor allen Buddhas und Bodhisattvas zu verbeugen. Für alle Fehler in dieser Arbeit aufgrund meiner zahlreichen Unzulänglichkeiten bitte ich alle Leserinnen und Leser um Entschuldigung. Möge dies dennoch segensreich sein. MBS, Ulm, April 2007. MÖGEN ALLE WESEN GLÜCKLICH SEIN! |
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