Die Harmonie von Verschiedenheit und Gleichheit參同契
Cāntóngqì
|
Der chinesische buddhistische Mönch Shítóu Xīqiān (700-790) lebte in Südchina und wirkte dort als buddhistischer Lehrer der Chan-/Zen-Tradition. Er war ein Schüler des 6. Chan-Patriarchen Dàjiàn Huìnéng (大鑒惠能; jap. Daikan Enō) und dessen Schüler und Nachfolger Qīngyuán Xíngsī (青原行思; jap. Seigen Gyōshi). Die Historizität von Qīngyuán Xíngsī gilt neuerdings in der Chan-Forschung als umstritten. In jedem Fall aber berufen sich 3 der 5 chinesischen und japanischen Chan-/Zen-Linien auf Shítóu Xīqiān als wichtigen Lehrer ihrer Tradition, und zwar Caodong/Sōtō, Yunmen/Unmon und Fayan/Hōgen. |
Quelle: Fozu zhengzong daoying, 1880, Holzschnitt, PD.: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Shitou_Xiqian.jpg. |
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Shítóu Xīqiān wurde in Duan Zhou im Bezirk Gaoyao (高要区) in Guangdong (广东, Kanton) in Südchina geboren.
Sein Familienname war Chen (程). Die Menschen in seiner Gegend hatten Angst vor Geistern und veranstalteten
deshalb regelmäßig Opferriten mit Kühen. Es heißt, daß der junge Chen immer wieder Opferkühe stahl und
freiließ.
Schon in sehr früher Jugend machte er sich auf den Weg zum Nánhuá-Tempel (南華寺, Nánhuá Sì), um dort den
6. Patriarchen des Chan/Zen Dàjiàn Huìnéng (大鑒惠能; jap. Daikan Enō) zu besuchen. Dieser starb jedoch kurz
darauf im Jahr 713, als der junge Chen erst 13 Jahre alt war. Darauf wandte dieser sich an Huìnéngs Schüler
und Nachfolger Qīngyuán Xíngsī (青原行思; jap. Seigen Gyōshi), der in einem Tempel auf dem Berg Qīngyuán lebte
und lehrte. Qīngyuán bestätigte Shítóu als seinen Nachfolger und dieser wanderte anschließend durch Südchina.
Er kam wohl um das Jahr 720 oder etwas später auf dem Berg Héng Shān (衡山) an. Dieser wurde früher auch als Nán
Yuè oder „Süd-Berg“ (南岳) bezeichnet, liegt in der südchinesischen Provinz Hunan (湖南省; Húnán Shěng) und
beherbergte zahlreiche daoistische und buddhistische Tempel. Dort errichte er sich eine Grashütte auf einem
abgelegenen großen Felsen, in der er jahrelang einsam meditierte. Der Fels hieß Shítóu (石头), 'Steinkopf', und
er wählte auch für sich selbst diesen Namen. Das berühmte "Lied von der Grasdach-Klause" bezieht sich auf diese Meditationshütte von Shítóu und zeigt seine große Wertschätzung für das stille und zurückgezogene Leben eines buddhistischen Bergmönchs. Im Jahr 742 errichtete er neben dem dort auf dem Héng Shān Berg schon bestehenden Nantai Tempel (南臺寺, Nántaí Sì) einen weiteren buddhistischen Tempel, in dem er lehrte. Der Buddhologe Mario Poceski (s.u.) schreibt, daß Shítóu zu seiner Lebenszeit in Südchina nicht sehr bekannt war, ebenso übrigends wie sein Freund und Zeitgenosse Mǎzǔ Dàoyī (馬祖道一; jap. Baso Dōitsu; 709–788). Beide wurden erst später in der Song-Dynastie (960-1279.) sehr populär, weil sich ihre Song-zeitlichen Nachfolger sehr stark auf Shítóu und Mǎzǔ bezogen. Der Überlieferung nach lehrten diese beiden Meister Chan/Zen auf deutlich unterschiedliche Weise, aber sie schätzen einander und schickten ihre Schüler jeweils zum anderen Meister, wenn sie der Meinung waren, daß ihre Schüler davon profitieren könnten. Shítóu starb im Jahr 790 und erhielt nach seinem Tod den Ehrennamen Wuji Dashi (無際大師), 'Grenzenloser Meister'. Als Nachfolger von Shítóu Xīqiān gilt Yàoshān Wéiyǎn (藥山惟儼; jap. Yakusan Igen; 745-827), der zugleich auch ein Schüler von Mǎzǔ Dàoyī (709–788) war. Zitat Wilhelm Gundert, Bi-Yän-Lu, Band 2, Beispiel 40, S. 154-155: Der hier erwähnte buddhistische Mönch Sēngzhào (僧肇; jap. Sōjō; 384–414) war ein bedeutender Schüler und Mitarbeiter des großen Sanskrit-Chinesisch Übersetzers Kumārajīva (鳩摩羅什; 344–413). Die Namen wurden auf Pinyin geändert, eigene Einfügungen in eckige Klammern gesetzt. Den entscheidenden Anstoß zu seiner eigenen Erkenntnis (sieht man von der Jugenderinnerung an Huìnéng und den Umgang mit Qīngyuán ab) hat Shítóu bei der Lektüre einer Schrift des Mönches Sēngzhào empfangen. Einst las er dessen Abhandlung "Von der Namenlosigkeit des Nirvâna" und kam an die im Text erwähnte Stelle, wo es heißt: "Wer die Welt der Dinge so versteht, daß er in diesen allen stets sich selber sieht, der dürfte wohl ein Heiliger sein." Da durchfuhr es ihn, daß er auf den Tisch schlug und sagte: Der Heilige besitzt kein eigenes Selbst, weil alles eigenes Selbst ist; wer will da noch von Ich, Du, von eigenem Selbst und einem Anderen reden! Und darauf schrieb er die Erkenntnis, die ihn erfüllte, in vierundvierzig Sätzchen zu je fünf Wortzeichen nieder, die unter dem Titel "Ungleich und gleich im Bunde" [Cāntóngqì, 參同契; jap. Sandōkai] bei den Zen-Schulen, vor allem aber bei der Sôtô-Sekte, bis heute in Ansehen stehen. Wie Shítóu diese seine Einheitserkenntnis verstanden wissen wollte, darüber hat er sich vor seiner Hörerschaft mit folgenden Worten ausgesprochen [Jǐngdé Chuándēnglù, 景德傳燈錄, jap. Keitoku dentōroku, Taisho Tripitaka (Taisho Shinshu Daizokyoi), vol. 14.]: "Meine Lehre vom GESETZ, die ich von früheren Buddhas überkommen habe, handelt nicht von heldenhaftem Fortschritt in Zuständen der Versenkung, sondern ich will nichts weiter erreichen als das Wissen und die Schau eines Buddha. Sie spricht sich in dem Satz aus: Eben da, wo Herz (Bewußtsein, Geist) ist, eben da ist Buddha. [ 即心 即佛 = jí xīn jí fó = jap. soku shin soku butsu ] Herz, Geist, Buddha, irrende Lebewesen, erlösende Erkenntnis, Verblendung, das alles ist, wenn auch dem Namen nach verschieden, dem Wesen nach doch eines. Es gilt für euch, das eigene Herz zu erkennen, sich vom Glauben an die Dauerhaftigkeit der Dinge ebenso fernzuhalten wie von dem ans Nichts. Die Grundnatur ist weder rein noch unrein; taufrisch ist sie, rund und voll. Gemein und heilig stehen sich gleich, ihre Verwendung in der Praxis ist an keine Richtlinie gebunden. Alle drei Welten und die sechs Wege des Kreislaufs von Geburt und Tod (nämlich die der Höllenwesen, der hungernden Gespenster, Tiere, streitenden Geister, Himmelswesen) treten alle aus dem Herzen her in Erscheinung. Wenn ihr dies richtig begriffen habt, so wird es euch an nichts gebrechen. Mein einziges Bestreben ist, es so weit zu bringen, daß die urgründige Stille des Wahrheitsleibes bei euch in Herz und Sinnen Eingang finde." Das hier vorgestellte Lehrgedicht von Shítóu "Ungleich und gleich im Bunde" [Cāntóngqì, 參同契; jap. Sandōkai], oder wie wir es hier übertragen haben "Die Harmonie von Verschiedenheit und Gleichheit", findet sich in einer Übersetzung des Autors dieser Zeilen in: Taigen Dan Leighton, Das Kultivieren des Leeren Feldes, Kristkeitz Verlag, Heidelberg/Leimen, 2009, sowie in zahlreichen verschiedenen Übertragungen im Internet. |
即心 即佛 jí xīn jí fó
soku shin soku butsu (jap.) Da wo der Herz-Geist ist, da ist der Buddha. |
|
Privates Rollbild des Autors von Kuwahara Sensei. Nebenbei: der Autor dieser Zeilen hat mehrere Jahre mit dem obigen Wort von Shítóu in Sinne eines Genjōkōan (現成公按) nach Zen-Meisters Dōgen praktiziert. |
Eine gute Quelle über Shítóu und seine Schüler ist das Werk des US-amerikanischen Buddhologen
Mario Poceski, Ordinary Mind as the Way: the Hongzhou School and the Growth of Chan Buddhism,
Oxford University Press, Oxford, UK, 2007. Auf der ZENline von Terebess finden sich unter Shítóu Xīqiān weitere englische Texte zu Shítóu Xīqiān, so die chin.-engl. Übersetzungen von The Record of Shitou Xiqian, transl. by James Mitchell & Yulie Lou und 'Encounter Dialogues of Shitou Xiqian' trans. by Satyavayu. Shítóu Xīqiān hatte einen großen Einfluß auf den chin. Chan-Meister Hóngzhì Zhēngjué (宏智正覺; jap. Wanshi Shōgaku; 1091–1157) und dessen Lehre von der Meditation des heiter gelassenen Widerspiegelns, oder auch schweigende Erleuchtung genannt (默照禪, mò zhào chán, jap. moku shō zen, engl. serene/silent reflection contemplation). Siehe wiederum: Taigen Dan Leighton, Das Kultivieren des Leeren Feldes, Kristkeitz Verlag, Heidelberg/Leimen, 2009. |
Zurück / Startseite |