Gautama Buddha hat im 5. Jahrhundert v.u.Z. in Nordostindien gelebt und gelehrt. Seine
Lehren wurden in Indien als Buddha-Dharma oder Buddha-Sāsana bezeichnet. Der Begriff
'Buddhismus' wurde erst im 19. Jh. in Europa eingeführt.
Jedes Mal in der Geschichte, wenn der Buddhismus in einer anderen Kultur heimisch wurde,
übernahm er in dieser Gesellschaft vorhandene bedeutsame Vorstellungen und Praktiken.
Dies waren z.B. in China daoistische Elemente und der Glaube an ein 'Paradies der Ahnen',
in Tibet schamanistische Überlieferungen der Bön-Religion, usw.
Jetzt, wo das Buddha-Dharma in der modernen westlichen Welt angekommen ist, stellt sich
die wichtige Frage, was an den buddhistischen Lehren essentiell und kulturübergreifend
bedeutsam ist, und was für uns verzichtbare altindinsche Glaubensvorstellungen sind. Und
insbesondere stellt sich als zentrale Frage, ob und wie wir das bedeutsame Element des
wissenschaftlichen Denkens unserer modernen Kultur mit buddhistischen Vorstellungen
harmonisieren können.
Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich in den diversen buddhistischen Schulen
überaus strittig und reichen von einer Theravada-Orthodoxie bis hin zu
westlich-therapeutischen Achtsamkeits-Schulen wie MBSR unter fast völligem Verzicht
auf buddhistische Lehren.
Der buddhistische Autor und Meditationslehrer Stephen Batchelor praktizierte ab 1974 als
buddhistischer Mönch in der tibetischen Gelugpa-Schule unter Geshe Dhargyey und Geshe
Rabten und widmete sich dabei vorwiegend dem Studium der Madhyamaka-Philosophie und der
Schriften des indischen buddhistischen Philosophen Dharmakīrti (6.-7. Jh.). Letztlich
enttäuscht von der tibetischen (Gelugpa-) Tradition fuhr Batchelor 1981 nach Süd-Korea
und trat in das Kloster Songgwangsa unter der Leitung des Meditations-Meisters Kusan
Sunim aus der Jogye-Sŏn-Schule ein, einer koreanischen Línjì-Chan (Rinzai-Zen) Schule, wo
er bis zum Tod von Meister Kusan im Jahr 1984 studierte. Danach legten er und Martine
Fages, eine langjährige französische Schülerin und Nonne von Meister Kusan, ihre Mönchs-
und Nonnen-Roben ab, heirateten und kehrten nach Europa zurück. Seit 1992 arbeitete
Batchelor an der amerikanischen buddhistischen Zeitschrift "Tricycle" mit und 1995 war er
einer der Mitbegründer des "Sharpham College for Buddhist Studies and Contemporary
Enquiry".
In den folgenden Jahren entwickelte Batchelor seine Gedanken zu einem westlichen,
'existentialistischen' und 'säkularen' Buddhismus in zahlreichen Büchern und Vorträgen.
Batchelors jetzt aktuellstes Buch "Jenseits des Buddhismus" stellt also keine völlige
Neuentwicklung dar, sondern verfolgt und vertieft Batchelors Themen, wie er sie zuletzt
in "Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten" (2010) dargestellt hatte. In "Jenseits des
Buddhismus" versucht sich Batchelor an einer Rekonstruktion des Frühbuddhismus anhand des
Pali-Kanons, des Vinaya (Ordensregeln) der Mūlasarvāstivāda-Schule und des großen Lexikons
"Buddhist Dictionary of Pali Proper Names" des bedeutenden Pali-Gelehrten Malalasekera
(1899-1973), unter strikter Vermeidung der späteren Kommentartradition von Buddhagoṣa (5.
Jh.) und dessen Nachfolgern. Dabei fällt zunächst einmal Batchelors kreativer Umgang
mit eingeführten Begriffen auf, wie etwa die 'Vierfache Aufgabe' anstelle der 'Vier Edlen
Wahrheiten' und 'Mendikanten/Medikantinnen' anstelle von 'Bhikkhus/Bhikkhunis', etc.
Die Kapitel wechseln zwischen anspruchsvolleren Theoriekapiteln und leichter lesbaren
Lebensbeschreibungen einiger Laien-Jünger des Buddha ab. Anhand der Geschichten der
Laien-Jünger möchte Batchelor die Anwendbarkeit des Buddha-Dharma auf ein 'weltliches'
Leben demonstrieren und eine von ihm so empfundene Überbetonung des monastischen Weges
im Buddhismus in Frage stellen bzw. korrigieren. Buddha selbst wird von Batchelor nicht
als ein 'Übermensch' dargestellt, wie das gelegentlich im Pali-Kanon geschieht, sondern
als ein 'erwachter' Mensch, der pragmatisch und undogmatisch im Gespräch mit seinen
Schülern und Schülerinnen, mit interssierten spirituellen Suchern und mit Königen und
Politikern für ethisch gute Lösungen für die Probleme seiner Zeit gewirkt hat. Sehr
eindrücklich und bedenkenswert sind aus meiner Sicht insbesondere die beiden letzten
Kapitel
- Ānanda: der Begleiter,
- Eine Kultur des Erwachens.
Nun zu den aus meiner Sicht eher problematischen Aspekten von Batchelors "Jenseits des
Buddhismus".
- Batchelors Methodologie in diesem Buch besteht darin, nur jene Pali-Quellen zu
verwenden, die 'originäre' Gedanken
des Buddha ausdrücken, die also bei keiner der anderen religiösen Gruppen jener Zeit
vorkamen. Auf diese Weise
möchte Batchelor den 'kulturunabhängigen' Anteil des Dharma herausdestillieren.
Dieses Vorgehen ist wissenschaftlich nicht haltbar. Buddha war unlösbar eingebunden
in sein sozio-kulturelles Umfeld, ebenso wie wir alle das auch sind.
Wenn wir Buddha, seine Gedanken und seine Handlungen tiefer verstehen wollen, dann
müssen wir uns um die aktuellsten Erkenntnisse der heutigen Wissenschaften der
Buddhologie und Indologie bemühen. Ein guter und auch für Nichtwissenschaftler
verständlicher Einstieg in diesen Themenkreis ist das Buch des großen Pali-Gelehrten
aus Oxford, Richard Gombrich, "What the Buddha Thought" (2009).
- Zentral für Buddhas Verständnis von 'Befreiung' ist die meditative Erfahrung und
Verwirklichung von 'Nibbana/Nirvana', wie sie eindrücklich etwa in
Udāna VIII.1-3 beschrieben wird:
Es gibt ein Reich, wo die vier Elemente,
Aus denen sich die Welt aufbaut, nicht sind.
Es ist nicht das der Raumunendlichkeit,
Nicht das, wo Wahrnehmung unendlich ist,
Nicht das des Nichts und nicht das Grenzgebiet,
Wo Wahrnehmung nicht ist und doch nicht fehlt.
Es ist nicht diese Welt und keine andre.
Dort gibt es keine Sonne, keinen Mond.
Das nenn' ich, Bhikkhus, Kommen nicht noch Gehen
Noch Stehenbleiben, auch nicht Untergehen
Und Neuerscheinen; es ist ohne Stütze,
Auch ohne Wandlung, ohne Gegenstände,
Und alles Leiden findet dort sein Ende.
Nibbana ist für Buddha das einzige 'nichtbedingte dhamma'. Und da man im alten Indien
noch nicht, wie wir heute, zwischen Ontologie und Epistemologie unterschieden hat,
kam für Buddha und seine Zeitgenossen der meditativen Erfahrung von Nibbana eine
Seins-Qualität zu. Batchelor nun widmet ein ganzes Kapitel der rational skeptischen
Widerlegung solch mystischer Tiefenerfahrungen.
Natürlich könnte man in diesem Zusammenhang moderne neurologische Einsichten zu
Nibbana-Erfahrungen diskutieren, wie dies etwa sehr schön z.B. in dem Buch von
Newberg, d' Aquili, Rause "Der gedachte Gott - Wie Glaube im Gehirn entsteht"
(2008), dargestellt wird. Batchelor verbleibt in seinem Widerspruch zur nirvanischen
Dimension des Buddhismus aber allein auf der Ebene des philosophischen Denkens.
Angesichts der Tatsache, daß keine spirituelle Tradition so vielfältige und
tiefgründige Meditationsmethoden entwickelt hat wie der Buddhismus erscheint
Batchelors Desinteresse und Ablehnung von Meditation und mystischen Erfahrungen
doch recht einseitig und begrenzend.
-
Batchelor argumentiert rational und überzeugend gegen das altindische Konzept von
verbundener 'Wiedergeburt + Karma'. So weit, so gut :-)
Doch anschließend versucht er, seine aufgeklärte und rationale Sichtweise bei Buddha
wiederzufinden und endet damit in Spekulationen und Projektionen. Alle mir
bekannten Buddhologen gehen davon aus, daß Buddha als ein Mensch seiner Zeit das
Konzept von 'Wiedergeburt + Karma' vorbehaltlos unterstützt hat und daß diese
Gedanken geradezu konstitutiv für die Entwicklung seiner Lehre waren. Siehe
hierzu wiederum Gombrich "What the Buddha Thought" (2009) - und auch die dort
erwähnten indologischen und antropologischen Forschungsergebnisse von Jurewicz und
Obeyesekere zur bedingten Entstehung des altindischen 'Wiedergeburt + Karma'
Konzeptes.
- Zur Grundlegung seiner Vision eines 'säkularen' Buddhismus stützt sich Batchelor
nahezu ausschließlich auf seine Interpretation des Frühbuddhismus und verzichtet
bewußt auf den kompletten Mahāyāna-Buddhismus, bis auf einige wenige Worte zu
Nāgārjuna, Madhyamaka-Philosophie und Línjì-Chan (Rinzai-Zen).
Natürlich kann man das so machen, aber der Verlust an Weisheit und Methoden ist
dann doch gewaltig - man denke nur an die buddhistische Psychologie und
Phänomenologie der Yogācāra-/Vijñānavāda-Schulen, und vieles mehr.
- Batchelor beschränkt sich in seiner Darstellung auf seine Version eines 'säkularen'
Buddhismus und diskutiert nicht die inzwischen zahlreich vorhandenen alternativen
Ansätze eines modernen Buddhismus. Als wenige Beispiele seien hier nur die westliche
Vipassana-Bewegung (Goldstein, Salzberg, Kornfield, Fred von Allmen, et al.),
der sog. 'Engagierte Buddhismus' (Buddhadasa, Maha Ghosananda, Thich Nhat Hanh,
Dalai Lama, et al.) und eine moderne Neufassung des Vinaya (Ordensregeln) von Thich
Nhat Hanh genannt.
- Eine ausführliche kritische Rezension von Batchelors vorangegangem Buch "Bekenntnisse
eines ungläubigen Buddhisten" (2010) hat der buddhistische Philosoph, Zenlehrer und
Öko-Dharma-Aktivist David Loy vorgelegt:
David Loy, "Secular Buddhism?", Tricycle, Frühjahr 2010.
Aus meiner Sicht beschreibt diese kluge und ausführliche Rezension auch die
Probleme des neuen Buches von Batchelor "Jenseits des Buddhismus".
Fazit aus der Sicht dieses Rezensenten:
Schön und inspirierend an Batchelors "Jenseits des Buddhismus", ebenso wie an seinen
vorherigen Büchern, ist sein großes Interesse am Buddha-Dharma, seine rückhaltlose
Ehrlichkeit und seine tiefe Bodhisattva-Motivation, zum Wohle aller Lebewesen zu
wirken.
Während ich Batchelors "Buddhismus für Ungläubige" (2005) immer wieder gerne an
interessierte Freundinnen und Freunde verschenkt habe, würde ich vor einer ernsthafteren
Beschäftigung mit "Jenseits des Buddhismus" doch ein längeres, eigenständiges Studium
der Quellen des Pali-Kanons, der Pali-Fachterminologie (z.B. Nyānatiloka, "Buddhistisches
Wörterbuch") und Gombrichs Buch "What the Buddha Thought" empfehlen. Erst dann kann man
die Einsichten von Batchelors Version eines 'säkularen' Buddhismus wertschätzend
würdigen, wie auch dessen Begrenzungen kritisch reflektieren.
Zum Weiterlesen:
-
Homepage Stephen & Martine Batchelor,
- Stephen Batchelor, "Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten", München, 2010,
- Stephen Batchelor, "Buddhismus für Ungläubige", Frankfurt, 2005,
- Stephen Batchelor, "Mit dem Bösen leben", Berlin, 2005,
-
David Loy, "Secular Buddhism?", Tricycle, Frühjahr 2010.
-
Pali-Kanon (deutsch),
- Nyānatiloka, "Buddhistisches Wörterbuch", Stammbach - Herrnschrot, 1989,
Buddhistisches Wörterbuch (online),
- G.P. Malalasekera, "Dictionary of Pali Proper Names, New Dehli, 2006,
G.P. Malalasekera, "Dictionary of Pali Proper Names" (online),
- Richard Gombrich, "How Buddhism Began", London, 1996,
- Richard Gombrich, "What the Buddha Thought", London, 2009,
-
M.B. Schiekel, "Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer
Schulen",
- Newberg, d'Aquili, Rause "Der gedachte Gott - Wie Glaube im Gehirn
entsteht", München, 2008.
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