Stephen Batchelor,
Jenseits des Buddhimus -
Eine säkulare Vision des Dharma.


536 Seiten, EUR 28.00,  ISBN: 978-3-942085-60-1,
edition steinrich, Berlin, 2017.


Rezension:  Munish B. Schiekel.

©opyright M.B. Schiekel, Ulm 2018.

Gautama Buddha hat im 5. Jahrhundert v.u.Z. in Nordostindien gelebt und gelehrt. Seine Lehren wurden in Indien als Buddha-Dharma oder Buddha-Sāsana bezeichnet. Der Begriff 'Buddhismus' wurde erst im 19. Jh. in Europa eingeführt. Jedes Mal in der Geschichte, wenn der Buddhismus in einer anderen Kultur heimisch wurde, übernahm er in dieser Gesellschaft vorhandene bedeutsame Vorstellungen und Praktiken. Dies waren z.B. in China daoistische Elemente und der Glaube an ein 'Paradies der Ahnen', in Tibet schamanistische Überlieferungen der Bön-Religion, usw.

Jetzt, wo das Buddha-Dharma in der modernen westlichen Welt angekommen ist, stellt sich die wichtige Frage, was an den buddhistischen Lehren essentiell und kulturübergreifend bedeutsam ist, und was für uns verzichtbare altindinsche Glaubensvorstellungen sind. Und insbesondere stellt sich als zentrale Frage, ob und wie wir das bedeutsame Element des wissenschaftlichen Denkens unserer modernen Kultur mit buddhistischen Vorstellungen harmonisieren können. Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich in den diversen buddhistischen Schulen überaus strittig und reichen von einer Theravada-Orthodoxie bis hin zu westlich-therapeutischen Achtsamkeits-Schulen wie MBSR unter fast völligem Verzicht auf buddhistische Lehren.

Der buddhistische Autor und Meditationslehrer Stephen Batchelor praktizierte ab 1974 als buddhistischer Mönch in der tibetischen Gelugpa-Schule unter Geshe Dhargyey und Geshe Rabten und widmete sich dabei vorwiegend dem Studium der Madhyamaka-Philosophie und der Schriften des indischen buddhistischen Philosophen Dharmakīrti (6.-7. Jh.). Letztlich enttäuscht von der tibetischen (Gelugpa-) Tradition fuhr Batchelor 1981 nach Süd-Korea und trat in das Kloster Songgwangsa unter der Leitung des Meditations-Meisters Kusan Sunim aus der Jogye-Sŏn-Schule ein, einer koreanischen Línjì-Chan (Rinzai-Zen) Schule, wo er bis zum Tod von Meister Kusan im Jahr 1984 studierte. Danach legten er und Martine Fages, eine langjährige französische Schülerin und Nonne von Meister Kusan, ihre Mönchs- und Nonnen-Roben ab, heirateten und kehrten nach Europa zurück. Seit 1992 arbeitete Batchelor an der amerikanischen buddhistischen Zeitschrift "Tricycle" mit und 1995 war er einer der Mitbegründer des "Sharpham College for Buddhist Studies and Contemporary Enquiry". In den folgenden Jahren entwickelte Batchelor seine Gedanken zu einem westlichen, 'existentialistischen' und 'säkularen' Buddhismus in zahlreichen Büchern und Vorträgen.

Batchelors jetzt aktuellstes Buch "Jenseits des Buddhismus" stellt also keine völlige Neuentwicklung dar, sondern verfolgt und vertieft Batchelors Themen, wie er sie zuletzt in "Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten" (2010) dargestellt hatte. In "Jenseits des Buddhismus" versucht sich Batchelor an einer Rekonstruktion des Frühbuddhismus anhand des Pali-Kanons, des Vinaya (Ordensregeln) der Mūlasarvāstivāda-Schule und des großen Lexikons "Buddhist Dictionary of Pali Proper Names" des bedeutenden Pali-Gelehrten Malalasekera (1899-1973), unter strikter Vermeidung der späteren Kommentartradition von Buddhagoṣa (5. Jh.) und dessen Nachfolgern. Dabei fällt zunächst einmal Batchelors kreativer Umgang mit eingeführten Begriffen auf, wie etwa die 'Vierfache Aufgabe' anstelle der 'Vier Edlen Wahrheiten' und 'Mendikanten/Medikantinnen' anstelle von 'Bhikkhus/Bhikkhunis', etc. Die Kapitel wechseln zwischen anspruchsvolleren Theoriekapiteln und leichter lesbaren Lebensbeschreibungen einiger Laien-Jünger des Buddha ab. Anhand der Geschichten der Laien-Jünger möchte Batchelor die Anwendbarkeit des Buddha-Dharma auf ein 'weltliches' Leben demonstrieren und eine von ihm so empfundene Überbetonung des monastischen Weges im Buddhismus in Frage stellen bzw. korrigieren. Buddha selbst wird von Batchelor nicht als ein 'Übermensch' dargestellt, wie das gelegentlich im Pali-Kanon geschieht, sondern als ein 'erwachter' Mensch, der pragmatisch und undogmatisch im Gespräch mit seinen Schülern und Schülerinnen, mit interssierten spirituellen Suchern und mit Königen und Politikern für ethisch gute Lösungen für die Probleme seiner Zeit gewirkt hat. Sehr eindrücklich und bedenkenswert sind aus meiner Sicht insbesondere die beiden letzten Kapitel
   - Ānanda: der Begleiter,
   - Eine Kultur des Erwachens.


Nun zu den aus meiner Sicht eher problematischen Aspekten von Batchelors "Jenseits des Buddhismus".

  1. Batchelors Methodologie in diesem Buch besteht darin, nur jene Pali-Quellen zu verwenden, die 'originäre' Gedanken des Buddha ausdrücken, die also bei keiner der anderen religiösen Gruppen jener Zeit vorkamen. Auf diese Weise möchte Batchelor den 'kulturunabhängigen' Anteil des Dharma herausdestillieren. Dieses Vorgehen ist wissenschaftlich nicht haltbar. Buddha war unlösbar eingebunden in sein sozio-kulturelles Umfeld, ebenso wie wir alle das auch sind. Wenn wir Buddha, seine Gedanken und seine Handlungen tiefer verstehen wollen, dann müssen wir uns um die aktuellsten Erkenntnisse der heutigen Wissenschaften der Buddhologie und Indologie bemühen. Ein guter und auch für Nichtwissenschaftler verständlicher Einstieg in diesen Themenkreis ist das Buch des großen Pali-Gelehrten aus Oxford, Richard Gombrich, "What the Buddha Thought" (2009).
     
  2. Zentral für Buddhas Verständnis von 'Befreiung' ist die meditative Erfahrung und Verwirklichung von 'Nibbana/Nirvana', wie sie eindrücklich etwa in Udāna VIII.1-3 beschrieben wird:
     
       Es gibt ein Reich, wo die vier Elemente,
       Aus denen sich die Welt aufbaut, nicht sind.
       Es ist nicht das der Raumunendlichkeit,
       Nicht das, wo Wahrnehmung unendlich ist,
       Nicht das des Nichts und nicht das Grenzgebiet,
       Wo Wahrnehmung nicht ist und doch nicht fehlt.
       Es ist nicht diese Welt und keine andre.
       Dort gibt es keine Sonne, keinen Mond.
       Das nenn' ich, Bhikkhus, Kommen nicht noch Gehen
       Noch Stehenbleiben, auch nicht Untergehen
       Und Neuerscheinen; es ist ohne Stütze,
       Auch ohne Wandlung, ohne Gegenstände,
       Und alles Leiden findet dort sein Ende.

     
    Nibbana ist für Buddha das einzige 'nichtbedingte dhamma'. Und da man im alten Indien noch nicht, wie wir heute, zwischen Ontologie und Epistemologie unterschieden hat, kam für Buddha und seine Zeitgenossen der meditativen Erfahrung von Nibbana eine Seins-Qualität zu. Batchelor nun widmet ein ganzes Kapitel der rational skeptischen Widerlegung solch mystischer Tiefenerfahrungen. Natürlich könnte man in diesem Zusammenhang moderne neurologische Einsichten zu Nibbana-Erfahrungen diskutieren, wie dies etwa sehr schön z.B. in dem Buch von Newberg, d' Aquili, Rause "Der gedachte Gott - Wie Glaube im Gehirn entsteht" (2008), dargestellt wird. Batchelor verbleibt in seinem Widerspruch zur nirvanischen Dimension des Buddhismus aber allein auf der Ebene des philosophischen Denkens. Angesichts der Tatsache, daß keine spirituelle Tradition so vielfältige und tiefgründige Meditationsmethoden entwickelt hat wie der Buddhismus erscheint Batchelors Desinteresse und Ablehnung von Meditation und mystischen Erfahrungen doch recht einseitig und begrenzend.
     
  3. Batchelor argumentiert rational und überzeugend gegen das altindische Konzept von verbundener 'Wiedergeburt + Karma'. So weit, so gut :-)
    Doch anschließend versucht er, seine aufgeklärte und rationale Sichtweise bei Buddha wiederzufinden und endet damit in Spekulationen und Projektionen. Alle mir bekannten Buddhologen gehen davon aus, daß Buddha als ein Mensch seiner Zeit das Konzept von 'Wiedergeburt + Karma' vorbehaltlos unterstützt hat und daß diese Gedanken geradezu konstitutiv für die Entwicklung seiner Lehre waren. Siehe hierzu wiederum Gombrich "What the Buddha Thought" (2009) - und auch die dort erwähnten indologischen und antropologischen Forschungsergebnisse von Jurewicz und Obeyesekere zur bedingten Entstehung des altindischen 'Wiedergeburt + Karma' Konzeptes.
     
  4. Zur Grundlegung seiner Vision eines 'säkularen' Buddhismus stützt sich Batchelor nahezu ausschließlich auf seine Interpretation des Frühbuddhismus und verzichtet bewußt auf den kompletten Mahāyāna-Buddhismus, bis auf einige wenige Worte zu Nāgārjuna, Madhyamaka-Philosophie und Línjì-Chan (Rinzai-Zen). Natürlich kann man das so machen, aber der Verlust an Weisheit und Methoden ist dann doch gewaltig - man denke nur an die buddhistische Psychologie und Phänomenologie der Yogācāra-/Vijñānavāda-Schulen, und vieles mehr.
     
  5. Batchelor beschränkt sich in seiner Darstellung auf seine Version eines 'säkularen' Buddhismus und diskutiert nicht die inzwischen zahlreich vorhandenen alternativen Ansätze eines modernen Buddhismus. Als wenige Beispiele seien hier nur die westliche Vipassana-Bewegung (Goldstein, Salzberg, Kornfield, Fred von Allmen, et al.), der sog. 'Engagierte Buddhismus' (Buddhadasa, Maha Ghosananda, Thich Nhat Hanh, Dalai Lama, et al.) und eine moderne Neufassung des Vinaya (Ordensregeln) von Thich Nhat Hanh genannt.
     
  6. Eine ausführliche kritische Rezension von Batchelors vorangegangem Buch "Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten" (2010) hat der buddhistische Philosoph, Zenlehrer und Öko-Dharma-Aktivist David Loy vorgelegt:
    David Loy, "Secular Buddhism?", Tricycle, Frühjahr 2010.
    Aus meiner Sicht beschreibt diese kluge und ausführliche Rezension auch die Probleme des neuen Buches von Batchelor "Jenseits des Buddhismus".
     

Fazit aus der Sicht dieses Rezensenten:
Schön und inspirierend an Batchelors "Jenseits des Buddhismus", ebenso wie an seinen vorherigen Büchern, ist sein großes Interesse am Buddha-Dharma, seine rückhaltlose Ehrlichkeit und seine tiefe Bodhisattva-Motivation, zum Wohle aller Lebewesen zu wirken.
Während ich Batchelors "Buddhismus für Ungläubige" (2005) immer wieder gerne an interessierte Freundinnen und Freunde verschenkt habe, würde ich vor einer ernsthafteren Beschäftigung mit "Jenseits des Buddhismus" doch ein längeres, eigenständiges Studium der Quellen des Pali-Kanons, der Pali-Fachterminologie (z.B. Nyānatiloka, "Buddhistisches Wörterbuch") und Gombrichs Buch "What the Buddha Thought" empfehlen. Erst dann kann man die Einsichten von Batchelors Version eines 'säkularen' Buddhismus wertschätzend würdigen, wie auch dessen Begrenzungen kritisch reflektieren.


 
Zum Weiterlesen:


 

 

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